Wann haben Sie zuletzt gefeilscht? Vielleicht haben Sie versucht, etwas über eine Online-Kleinanzeige zu verkaufen, ein Souvenir zu erstehen oder das Angebot eines Handwerkers herunterzuhandeln. Auch wenn im Alltag die meisten Waren, die wir kaufen und verkaufen, inzwischen Festpreise haben (historisch betrachtet übrigens ein junges Phänomen), kommt es ab und an doch vor, dass wir über Preise und Konditionen diskutieren. Dabei scheint jedes Feilschen in gewisser Weise paradox, denn man weiß ja, dass man sich ohnehin irgendwo »in der Mitte« treffen wird, sofern man sich einig wird und die Einstiegsangebote nicht völlig abwegig sind. Warum also handeln?
Schaut man dieser Tage in die Presse, stellt man fest, dass auch in Politik und Wirtschaft bis auf die höchste Ebene viel gehandelt und gefeilscht wird. In den USA gab es anscheinend ein Ergebnis in der traditionellen Diskussion über die Anhebung der Obergrenze für die Staatsverschuldung, die Parteien der Bundesregierung wollen eine Einigung zur umstrittenen neuen Heizungsgesetzgebung aushandeln und bei der Bahn gibt es einen Tarifkonflikt, der ebenfalls irgendwann ein Ende finden wird. Es ist ein Gemeinplatz, dass das friedliche Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft in großem Maße darauf beruht, ständig Einigungen zu erzielen. Aber auch hier kann man fragen: Man trifft sich doch ohnehin in der Mitte, warum muss man vorher so umständlich und konfliktbeladen verhandeln?
Ein Grund ist: Alles Feilschen und Verhandeln beruht stets darauf, dass die beteiligten Parteien unterschiedlich informiert sind und/oder verschiedene Auffassungen haben. Unterschiedliche Informationen liegen zum Beispiel vor, wenn ein Käufer mit Expertenwissen über die Beschaffenheit der Ware auf einen Verkäufer ohne dieses Wissen trifft oder wenn ein Verkäufer gar nicht weiß, wem er die Ware überhaupt verkaufen könnte (denken Sie an die Fernsehsendung »Bares für Rares«, wo es um nichts anderes geht als diese Fragen). Ein Unterschied in der Auffassung liegt vor, wenn beispielsweise beide Parteien wissen, dass die Ware einen Mangel hat, sich aber darüber uneins sind, wie stark sie dadurch beeinträchtigt ist. Stellen Sie sich einen Gebrauchtwagen vor, der intensiv nach dem Hund des Vorbesitzers riecht: Einerseits fährt das Auto natürlich trotzdem, andererseits mieft es, und man weiß gar nicht genau, wie weit sich der Geruch entfernen lässt und wie viel Aufwand das bedeutet.
Konsens oder Kompromiss?
Diese Asymmetrien lassen sich in vielen Fällen zumindest potenziell auflösen, indem man sich vorstellt, dass die Parteien ihr Wissen auf einen gemeinsamen Nenner bringen oder sich in ihren unterschiedlichen Auffassungen einigen. Käufer und Verkäufer des müffelnden Autos könnten zum Beispiel zu einer Übereinstimmung darüber kommen, dass der Geruch entfernt werden muss, wie viel die Reinigung kosten wird und wie die Kosten dafür aufgeteilt werden. Dann ist ein Konsens erreicht worden.
Es kann aber auch sein, dass sich Käufer und Verkäufer bis zum Schluss völlig uneins darüber sind, ob die Reinigung nun notwendig ist. Da aber beide die Transaktion nicht scheitern lassen wollen, feilschen sie »um des lieben Friedens willen« um eine Lösung für das Geruchsproblem. Am Ende ist trotzdem klar, wer das Auto reinigen lässt und wie die Kosten dafür aufgeteilt werden, allerdings ohne dass jemand vom Standpunkt des anderen überzeugt worden ist. Hier spricht man von einem Kompromiss.
Es gibt also grundsätzlich zwei verschiedene Arten des »Sich-in-der-Mitte-Treffens«. Die Vorstellung, mit genügend Zeit und gutem Willen müsste sich in allen kontroversen Fragen ein Konsens erreichen lassen, ist beliebt, aber schon bei unserem übel riechenden Auto ist klar: Manchmal geht das nicht. Zum Beispiel, weil unterschiedliche Menschen Gerüche als unterschiedlich unangenehm wahrnehmen. Oder es ist nicht praktikabel, den Konsens herzustellen, weil es einfacher und günstiger ist, einen Kompromiss zu schließen, als ein belastbares Gutachten darüber zu bezahlen und abzuwarten, wie teuer die Geruchsentfernung wirklich wird.
Bei politischen Verhandlungen geht es in der Regel um mehr als nur einen Handschlag und ein bisschen Bargeld. Deshalb erlangen zum Beispiel auch Sprachregelungen und Definitionen Bedeutung, auf die man sich trotz abweichender Auffassungen einigen kann. Schon die Frage, was überhaupt ein Kompromiss ist und nach welchen Kriterien man ihn beurteilen kann, ist gar nicht so einfach zu beantworten. Die Philosophin Véronique Zanetti hat vergangenes Jahr ein ganzes Buch zum Thema vorgelegt.
Bei Verhandlungen, bei denen es um mehr geht als um einen Gebrauchtwagen, besteht in der Regel eine Gemengelage aus verschiedenartigen Differenzen zwischen den Parteien. Ein Vorteil beim simplen Feilschen um Euros oder Prozente ist, dass gar nicht klar sein muss, welche Auffassungen nun geteilt werden und welche nicht: Am Ende ist man sich handelseinig. Deswegen scheinen komplexe Verhandlungen eine Tendenz dazu zu haben, sich aus Vereinfachungsgründen zu einem Feilschen um Zahlen zu entwickeln. Eine solche Tendenz zum Kuhhandel heißt aber noch nicht, dass es von vornherein immer nur darum geht, irgendwelche Tauschgeschäfte auszuhandeln.