Naturstoff aus Insekten zerstört die Zellmembran multiresistenter gramnegativer Erreger
Hoffnung gegen „Superkeime“: Eine in Insekten vorkommende Substanz hat die Vorlage für eine neue, hochwirksame Klasse von Antibiotika geliefert. Diese unterbrechen eine wichtige Transportkette in der Zellmembran gramnegativer Bakterien – und töten dadurch selbst multiresistente Erreger ab. In ersten Tests mit Mäusen wirkten die neuen Antibiotika auch gegen gefährliche Krankenhauskeime wie Klebsiella pneumoniae und mutierte Escherichia coli. Sie eröffnen damit neue Chancen, Infektionen mit multiresistenten Keimen zu bekämpfen.
Antibiotika sind die wichtigsten Waffen der Medizin gegen bakterielle Erreger, doch diese erweisen sich immer häufiger als resistent. Im schlimmsten Fall wirkt bei solche Infektionen dann keines der gängigen Mittel mehr. Als Folge sterben laut Weltgesundheitsorganisation WHIO jedes Jahr mehr als fünf Millionen Menschen durch multiresistente Erreger. Neben dem berüchtigten Krankenhauskeim MRSA gelten vor allem gramnegative resistente Bakterien wie Klebsiella pneumoniae, Streptococcus pneumoniae, Acinetobacter baumannii und Pseudomonas aeruginosa als Bedrohung.
Umso dringender ist die Entwicklung neuer antibakterieller Medikamente. „Unglücklicherweise ist die Pipeline für neue Antibiotika ziemlich leer“, sagt Seniorautor Oliver Zerbe von der Universität Zürich. „Seit mehr als fünfzig Jahren sind keine Antibiotika gegen bisher nicht verwendete Zielmoleküle zugelassen worden.“
Modifiziertes Peptid einer Raubwanze
Neue Hoffnung gibt nun eine neuentwickelte Klasse von Antibiotika. Ausgangspunkt dafür ist ein aus Insekten isolierter Naturstoff, das Peptid Thanatin. Dieses Molekül kommt unter anderem im Darm der Raubwanze Podisus maculiventris vor und wirkt von Natur aus antibakteriell. Schon vor einigen Jahren ergaben Analysen, dass Thanatin eine wichtige Transportkette zwischen der inneren und äußeren Membran von gramnegativen Bakterien unterbricht. Dadurch stauen sich diese Stoffwechselprodukte im Zellinnern an und das Bakterium stirbt ab.
Allerdings eignet sich Thanatin in seiner natürlichen Form nicht als Antibiotikum – unter anderem, weil es zu schwach wirkt und sich rasch Resistenzen dagegen bilden. Um die Wirksamkeit dieses Wirkstoffs zu erhöhen, hat nun ein Team um Zerbe, Erstautor Matthias Schusser sowie Forschenden der Pharmafirma Spexis zunächst genauer untersucht, an welchem Punkt der Transportkette das Thanatin ansetzt und wie. Diese Informationen nutzte das Team dann, um einige Aminosäureketten des Thanatins so zu verändern, dass seine antibakterielle Wirkung verstärkt und die Resistenzbildung verhindert wird.
Wirksam selbst gegen resistente Lungeninfektionen
Wie gut die verschiedenen Varianten des modifizierten Thanatin wirken, testeten die Forschenden anschließend bei Mäusen, die mit Klebsiella pneumoniae oder resistenten Formen des Darmkeims Escherichia coli infiziert waren. Das Ergebnis: „Vor allem bei Lungeninfektionen erwiesen sich die neuartigen Antibiotika als sehr wirksam“, berichtet Zerbe. „Insbesondere sind sie hocheffektiv bei Carbapenem-resistenten Enterobakterien, gegen die fast alle erhältlichen Antibiotika machtlos sind.“
Bei der Auswahl der vielversprechendsten Wirkstoffe stellten die Forschenden zudem fest, dass diese auch gegen Bakterien wirken, die bereits eine Resistenz gegen das natürliche Thanatin entwickelt haben. Die modifizierten Varianten sind zudem so konzipiert, dass die Bakterien gegen diese Art des Angriffs nur sehr schwer neue Resistenzen bilden können. „Wir sind zuversichtlich, dass dies die Ausbildung von zukünftigen Resistenzen maßgeblich verlangsamen wird“, sagt Zerbe.
Aussicht auf neue Antibiotika-Klasse
Wie die Studie ergab, sind die Wirkstoffe zudem nicht toxisch, fügten den Nieren der Mäuse keinen Schaden zu und blieben im Blut über lange Zeit stabil – alles Eigenschaften, die Voraussetzung für eine Zulassung als Medikament sind. Allerdings sind nun noch weitere Tests nötig, bevor erste Tests in Menschen beginnen können, wie die Wissenschaftler betonen. Dennoch sind sie zuversichtlich, dass diese Thanatin-Derivate eine wirksame Waffe gegen gramnegative Erreger werden könnten.
„Jetzt besteht die Aussicht, dass bald eine neue Klasse von Antibiotika auf den Markt kommt, welche auch gegen resistente Bakterien wirksam ist“, sagt Zerbe. (Science Advances, 2023; doi: 10.1126/sciadv.adg3683)
Quelle: Universität Zürich