Psychoaktive Substanz aus Magic Mushrooms könnte Anorexie lindern helfen
Psychoaktive Therapie: Die aus „Magic Mushrooms“ bekannte Droge Psilocybin könnte Magersüchtigen dabei helfen, ihre Anorexie zu überwinden, wie eine erste Studie nahelegt. Dabei führte eine Gabe der psychoaktiven Substanz zu einer drei Monate anhaltenden subjektiven Besserung bei den Teilnehmerinnen, bei einigen war dies auch objektiv nachweisbar. Da bisherige Therapien gegen Magersucht oft nicht wirken, sei dies vielversprechend, so die Forschenden in „Nature Medicine“.
Magersucht ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen junger Frauen – und eine der hartnäckigsten: Rund die Hälfte der Betroffenen wird trotz psychotherapeutischer Behandlung rückfällig. Typisch für die Magersucht ist ein verzerrtes Körperbild, durch das Betroffenen eine panische Angst entwickeln, zu dick zu werden – und deswegen fast nichts mehr essen. Zudem hat die Anorexie auch Züge einer Zwangsstörung – es fällt Betroffenen selbst mit psychotherapeutischer Hilfe schwer, ihre rigide Selbstsicht, ihre Routinen und Denkweisen zu ändern.
Mit schwerwiegenden Folgen: Etwa zehn bis 15 Prozent der Magersüchtigen sterben letztlich an den Folgen von Organschäden und Unterernährung. Erschwert wird die Therapie auch dadurch, dass die Ursachen der Anorexia nervosa unklar sind. Vermutet wird, dass eine Kombination aus genetischer Veranlagung sowie vorgeburtlichen und frühkindlichen Einflussfaktoren die Anfälligkeit erhöht. Studien zeigen zudem, dass im Gehirn von Magersüchtigen die Reaktion auf den Neurotransmitter Serotonin gestört ist.
Die Pilzdroge und das Serotonin
An diesem Punkt setzt die Studie von Stephanie Knatz Peck von der University of California in San Diego und ihre Kollegen an. „Es gibt einige Belege dafür, dass Menschen mit Anorexia nervosa eine veränderte Funktion des Serotonin-Rezeptors 2A im Gehirn aufweisen“, erklären sie. Auf diesen Rezeptor wirkt jedoch auch die von „Magic Mushrooms“ bekannte Droge Psilocybin. Sie bewirkt Veränderungen der Wahrnehmung und des Bewusstseins, gleichzeitig fördert sie die Plastizität der synaptischen Verbindungen und kann dadurch die Bildung neue Verknüpfungen im Gehirn anregen.
Dies verleiht dem Psilocybin – besonders in Verbindung mit Psychotherapie – auch eine mögliche therapeutische Wirkung. Gegen schwere Depressionen und Zwangsstörungen hat sich Psilocybin in ersten Studien bereits als wirksam erwiesen, ähnlich wie bei Magersucht spielen bei beiden Störungen im Serotonin-Haushalt eine Rolle. „Das stützt die Vermutung, dass die Wirkung des Psilocybins auf diesen Rezeptor auch die Symptome der Anorexie positiv beeinflussen können“, erklären Knatz Peck und ihre Kollegen.
Wirkung von Psilocybin plus Psychotherapie getestet
In einer kleinen Phase-1-Studie haben Knatz Peck und ihr Team nun erstmals getestet, ob Psilocybin auch bei Magersucht helfen kann und wie gut verträglich die Pilzdroge ist. An der Studie nahmen zehn Frauen teil, die meist schon seit mehreren Jahren an einer Magersucht litten. Fünf von ihnen hatten bereits vorher mithilfe von psychotherapeutischer Behandlung versucht, die Anorexie zu überwinden, waren aber ganz oder teilweise rückfällig geworden. Sieben der Frauen litten unter einer begleitenden Depression, drei hatten zusätzlich eine Zwangsstörung.
In den zwei Wochen vor der Psilocybin-Gabe wurden die Probandinnen an zwei Terminen eingehend psychologisch untersucht und über Psilocybin informiert. Dann erhielten die Frauen 25 Milligramm reines Psilocybin in Form von Kapseln und wurden während der rund achtstündigen Phase der akuten Drogensymptome von Psychologen in der Klinik intensiv betreut. Auch Nebenwirkungen wurden erfasst. Anschließend durften sie nach Hause gehen. Am nächsten Tag und eine Woche später absolvierten alle Teilnehmerinnen eine 60- bis 90-minütige Psychotherapiesitzung.
Außerdem wurden alle Teilnehmerinnen nach einer Woche sowie nach einem und drei Monaten eingehend psychologisch und körperlich untersucht und auch nach ihrem subjektiven Befinden befragt, um den Effekt des Psilocybins auf die Anorexie abzuschätzen.
Erste positive Effekte nachweisbar
Das Ergebnis: Die magersüchtigen Frauen vertrugen das Psilocybin ohne schwerwiegende Nebenwirkungen und empfanden die Therapie insgesamt als positiv: „90 Prozent hatte den Herausforderungen des Lebens gegenüber ein positiveres Gefühl, 80 Prozent bezeichneten die Erfahrung sogar als eines der fünf wichtigsten ihres bisherigen Lebens“, berichten Knatz Peck und ihr Team. 70 Prozent der Frauen verspürte eine allgemeine Besserung ihrer Lebensqualität.
Deutlich variabler und weniger eindeutig waren allerdings die objektiven Ergebnisse, beispielsweise bei der psychologischen Erfassung der Anorexie-Kennzeichen und den körperlichen Parametern. So bewirkte die Psilocybin-Gabe im Schnitt signifikante Verbesserungen bei Parametern wie der vom verzerrten Körperbild erzeugten Angst und der Obsession mit Ernährung, Figur und Essen. Gleichzeitig konnte das Team aber nur bei vier Probandinnen auch nach drei Monaten noch eine dauerhafte Besserung bei etablierten Essstörungs-Untersuchungen feststellen.
Vielversprechender Auftakt zu weiteren Forschungen
Dennoch sehen Knatz Peck und ihre Kollegen das Ergebnis ihrer vorläufigen Studie positiv: „Die meisten Teilnehmerinnen berichteten über subjektive Besserung auch noch drei Monaten nach der Psilocybingabe“, schreiben sie. „Dass die Behandlung von den meisten Probandinnen als positiv wirksam betrachtet wurde und dass es keine Aussteigerinnen gab, sind schon vielversprechende Indizien.“ Zudem sei bemerkenswert, dass sich schon nach einer einzigen Gabe von Psilocybin positive Effekte zeigten – bei klassischen Anorexie-Therapien sei dies oft selbst nach langer Zeit nicht der Fall.
Die Forschenden halten es demnach für sinnvoll weitere, umfangreicher Studien zur therapeutischen Wirkung von Psilocybin bei Magersucht durchzuführen. Ähnlich sehen es auch Tomislav Majic von der Charité Universitätsmedizin Berlin und Stefan Ehrlich von der Technischen Universität Dresden. In einem begleitenden Kommentar schreiben sie: „Angesicht der Notwendigkeit von effektiven und akzeptablen Therapien für diese Störung könnte die Psilocybin-Therapie ein vielversprechender Weg für die weitere klinische Evaluierung sein.“ (Nature Medicine, 2023; doi: 10.1038/s41591-023-02455-9)
Quelle: Nature Medicine