Fest mit Knochen und Nerven verknüpfte Armprothese verbessert Kontrolle und neuronales Feedback
Teil des Körpers: Eine Frau in Schweden ist der erste Mensch mit einer bionischen Prothese – einer fest mit ihren Knochen, Muskeln und Nerven verbundenen Prothese. Anders als bei gängigen, nur außen auf den Stumpf aufgesetzten Prothesen, erfolgt die Kontrolle der bionischen Hand genauso wie bei einem echten Arm. Dies erlaubt eine präzisere Bewegungskontrolle und gibt dem Gehirn neuronales Feedback. Dies nahm der Patientin auch ihren starken Phantomschmerz, wie die Forschenden in „Science Robotics“ berichten.
Moderne Prothesen sind längst keine rein passiven Anhängsel mehr, sondern können gezielt gesteuert und bewegt werden. Möglich wird dies in der Regel durch Elektroden im Schaft der Prothesen, die die elektrischen Signale der Muskeln im Gliedmaßen-Stumpf aufnehmen. In einigen Fällen werden die nötigen Muskelsignale auch von einer Manschette weiter oben am Arm oder Bein abgeleitet. Die Patienten lernen dann, durch gezieltes Anspannen bestimmter Muskelgruppen die Bewegung der Prothese zu steuern.
Warum gängige Prothesen oft Probleme bereiten
Das Problem jedoch: Feine Bewegungen, beispielsweise der Finger einer Handprothese, sind über solche Ersatz-Reize nur schwer bis gar nicht zu steuern. „Die von den Oberflächen-Elektroden registrierten myoelektrischen Signale sind schwach und werden leicht gestört“, erklären Max Ortiz-Catalan vom Zentrum für Bionik und Schmerzforschung in Schweden und seine Kollegen. „Das macht die Kontrolle der prothetischen Gliedmaßen im Alltag unzuverlässig.“
Hinzu kommt, dass viele Amputierte unter Phantomschmerzen leiden: Weil die Nervenbahnen der abgetrennten Gliedmaßenteile gekappt wurden und keine Signale mehr ans Gehirn zurücksenden, lösten sie dies Schmerzen aus. „Es fühlte sich an, als steckte meine Hand in einem Fleischwolf. Ich musste dagegen hohe Dosen an Schmerzmitteln nehmen“, berichtet die 50-jährige Testpatientin Karin. Ihr wurde vor 20 Jahren durch einen Unfall der untere Teil des rechten Unterarms samt Hand abgetrennt.
Fest verankert statt nur aufgestülpt
Abhilfe schafft nun eine von Ortiz-Catalan und seinem Team entwickelte bionische Prothese. Anders als gängige Ersatzgliedmaßen sitzt sie nicht außen auf dem Stumpf, sondern ist fest mit den Armknochen der Patientin verbunden. Der Rumpf der Prothese wird dabei durch zwei Titanimplantate in den Knochen verankert. Die Steuerungselektroden der Prothese werden über spezielle Schnittstellen direkt mit den Nervenbahnen und Muskeln des Unterarms verbunden.
„Dadurch nutzt Karin nun für die Kontrolle ihrer Prothese fast dieselben neuronalen Signalwege wie vorher für die Steuerung ihrer biologischen Hand“, erklärt Ortiz-Catalan. Dies ermöglicht es der Patientin, alle fünf Finger der Handprothese einzeln zu steuern und sechs verschiedene Bewegungen mit der Hand durchzuführen, wie Tests ergaben. Dadurch kann sie Alltagsbewegungen beispielsweise beim Kochen oder dem Packen eines Koffers zuverlässig und mit hoher Präzision ausführen.
Vereinfacht wird dies dadurch, dass zwar der Sockel der Handprothese fest im Knochen verankert ist, der eigentliche Prothesenaufsatz aber wechselbar ist. Dadurch kann die Patientin je nach Bedarf verschiedene Handmodelle aufsetzen. Die Prothese sei zudem unabhängig von externen Batterien oder Computern und damit problemlos im Alltag nutzbar, betont das Team.
Neuronales Feedback ans Gehirn
Durch die direkte Verbindung mit den gekappten Nervenbahnen der Patientin senden diese auch Rückmeldungen ans Gehirn. Dies verringert den Phantomschmerz deutlich. „Ich habe nun bessere Kontrolle über meine Prothese, aber vor allem hat sich mein Schmerz verringert“, berichtet Karin. „Ich benötige heute viel weniger Medikamente.“ Die feste Verankerung am Knochen verringert zudem den Druck auf die Oberfläche des Armstumpfes und es kommt daher kaum noch zu einem Wundscheuern oder Druckstellen.
Hinzu kommt, dass eine Prothese über die Kopplung mit den Nervenbahnen auch Sinneseindrücke wie Berührungen und Druck von der Prothese ans Gehirn übermitteln kann. Bisher war dies bei außen ansitzenden Elektroden nur eingeschränkt und nach langem Training möglich. Solche fühlenden Prothesen gibt es jedoch bisher nur als Prototyen für die Forschung.
Deshalb konnten Ortiz-Catalan und sein Team das Sinnes-Feedback der bionischen Hand nur eingeschränkt testen: „Es gab keine kommerziell erhältliche Handprothese mit eingebetteten Sensoren, die für unsere Studie geeignet war“, erklären sie. „Das wird sich aber in den kommenden Jahren ändern, wenn solche Handprothesen auf den Markt kommen.“
„Wir nähern uns dem ‚heiligen Gral‘ der bionischen Prothesen“
Nach Ansicht der Forschenden eröffnen solche bionischen Prothesen neue Möglichkeiten, Patienten mit amputierten Gliedmaßen zu einem besseren Leben zu verhelfen. Die enge Verknüpfung der Prothese mit Knochen, Muskeln und Nerven erlaubt nicht nur eine bessere und zuverlässigere Kontrolle des Ersatzarms oder -beins. Sie bietet auch die Chance, die Sinneseindrücke der verlorenen Gliedmaßen zumindest in Teilen zu ersetzen – und die Phantomschmerzen zu lindern.
„Die Tatsache, dass Karin ihre Prothese jetzt schon seit drei Jahren effektiv und problemlos für ihre alltäglichen Aktivitäten nutzt, ist ein vielversprechendes Zeugnis der lebensverändernden Fähigkeiten dieser neuen Technologie“, sagt Ortiz-Catalan. Er und sein Team räumen allerdings auch ein, dass die chirurgische Integration der Prothese Komplikationen verursachen kann. So musste die Implantation der Titanstäbe bei der Patientin wiederholt werden, weil sie im ersten Versuch nicht richtig einwuchsen. Dennoch sieht Karin ihre Erfahrungen mit der bionischen Hand klar positiv: „Für mich bedeutet diese Forschung viel, denn sie hat mit ein besseres Leben gegeben“, so die Patientin.
Für ähnlich vielversprechend hält der nicht an der Studie beteiligte Rehabilitationsmediziner Strahinja Dosen von der Universität Aalborg: „Wir nähern uns stetig dem ‚heiligen Gral‘ der bionischen Ersatzgliedmaßen – einer geschickten Prothese mit intuitiver, sofortiger und mühelosen Kontrolle sowie einem natürlichen, räumlich aufgelösten somatosensorischen Feedback“, schreibt er in einem begleitenden Kommentar. (Science Robotics, 2023; doi: 10.1126/scirobotics.adf7360)
Quelle: Scuola Superiore Sant’Anna