Unterschiede und Parallelen von „Long Covid“ und „Long Flu“ untersucht
„Long Flu“: Auch eine Grippe kann langanhaltende Spätfolgen nach sich ziehen – ähnlich wie „Long Covid“ nach einer Coronavirus-Infektion. Allerdings sind die Symptome bei „Long Flu“ weniger vielgestaltig, wie Forschende ermittelt haben. Demnach sind nach einer Influenza meist primär die Lunge und Atemwege betroffen, andere Organe dagegen weit seltener. Dennoch kann auch „Long Flu“ ernste Beschwerden verursachen. Beide Infektionen seien daher nicht zu unterschätzen, warnt das Team.
Eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 kann ernste Spätfolgen haben, wie zahlreiche Studien zeigen. Über 200 Langzeitsymptome wurden bislang nach einer Corona-Infektion beschrieben, etwa chronische Müdigkeit, Atemprobleme und Organschäden. Inzwischen ist „Long Covid“ auch eine anerkannte Erkrankung. Einige Studien deuten zudem darauf hin, dass dasselbe auch für die Grippe und andere Infektionskrankheiten wie Erkältungen gelten könnte. Wissenschaftler halten es inzwischen für möglich, dass es auch eine entsprechende „Long Flu“ und „Long Colds“ geben könnte.
Umfassender Vergleich von Grippe und Covid-19
Um das zu überprüfen, hat ein Team um Yan Xie vom VA Saint Louis Health Care System in Missouri verglichen, unter welchen Spätfolgen Menschen leiden, die sich mit dem Coronavirus SARS-CoV2 oder einem Influenzavirus infiziert hatten. Die Forschenden konzentrierten sich dabei auf Patienten, die im Krankenhaus gegen Covid-19- oder Grippe-Symptome behandelt werden mussten. „Wir wollten wissen, ob und in welchem Ausmaß Menschen mit Grippe auch langfristige gesundheitliche Auswirkungen haben“, sagt Seniorautor Ziyad Al-Aly von der Washington University in St. Louis.
Die Forschenden untersuchten dafür die gesundheitlichen Beschwerden und das Sterberisiko von über 80.000 Corona- und knapp 11.000 Grippe-Patienten in den 18 Monaten nach ihrer akuten Viruserkrankung. Die anonymisierten Informationen stammten aus der Datenbank des Kriegsveteranenministeriums der US-Regierung und vorrangig von älteren Männern, oft mit Übergewicht und einer Vorerkrankung. Die untersuchten Corona-Patienten erkrankten während der Prä-Delta-, Delta- und Omikron-Welle der Corona-Pandemie, die Grippe-Patienten noch vor der Pandemie. Je rund 61 Prozent waren gegen Corona beziehungsweise Grippe geimpft.
Xie und ihre Kollegen berücksichtigten bei ihrer Analyse 94 verschiedene Gesundheitsprobleme sowie zehn Organsysteme. Damit untersuchten sie eine deutlich breitere Palette an Symptomen und über einen längeren Zeitraum als in früheren Studien.
Schwere Krankheitsverläufe erhöhen Risiko für Spätfolgen
Die Analyse ergab, dass die Grippe- und Corona-Patienten nach einem Krankenhausaufenthalt ein erhöhtes Risiko hatten, erneut ins Krankenhaus eingewiesen zu werden und zu sterben. Zudem litten sie häufig unter langfristigen Organschäden. Besonders hoch waren diese Gesundheitsrisiken ab dem 30. Tag nach der ursprünglichen Infektion, berichtet das Team. „Viele Menschen glauben, dass sie nach der Entlassung aus dem Krankenhaus Covid-19 oder die Grippe überstanden haben. Das mag für einige Menschen zutreffen. Unsere Forschung zeigt jedoch, dass beide Viren langfristige Krankheiten verursachen können“, sagt Al-Aly.
Demnach können sowohl Covid-19 als auch die Grippe auch nach Ende der akuten Infektion zu länger anhaltenden Gesundheitsproblemen führen. Ähnlich wie bei „Long Covid“ sind diese Spätfolgen auch bei der Influenza oft noch gravierender als die Beschwerden in der frühen Phase der Infektion, berichtet das Team. „Long Covid ist ein viel größeres Gesundheitsproblem als Covid und Long Flu ist ein viel größeres Gesundheitsproblem als die Grippe“, sagt Al-Aly.
„Long Covid“ ist insgesamt wahrscheinlicher als „Long Flu“
Der Vergleich ergab auch, dass die Spätfolgen nach einer Corona-Infektion vielgestaltiger und umfassender sind als nach einer Grippe. Nach Covid-19 war das Risiko der Patienten für 64 der 94 möglichen Spätfolgen erhöht. Bei der Grippe traf dies hingegen nur auf sechs der 94 langfristigen Beschwerden zu. Wegen seiner breiten Wirkung auf viele Organe führte Covid-19 in der Studie auch deutlich häufiger zu einem erneuten Krankenhausaufenthalt und zum nachträglichen Tod als die Grippe.
Diesen Ergebnissen nach ist es insgesamt wahrscheinlicher und auch gefährlicher, nach einem schweren Krankheitsverlauf an „Long Covid“ zu erkranken als an „Long Flu“. Bei fast allen Organen stellt Corona das größere Risiko dar. „Die einzige bemerkenswerte Ausnahme besteht darin, dass die Grippe ein höheres Risiko für das Lungensystem darstellt als Covid-19“, erklärt Al-Aly. Dies zeige, dass das Grippevirus gefährlicher für die Atemwege ist als in den letzten 100 Jahren gedacht.
Welchen Einfluss haben Impfungen?
Interessanterweise machte es in der Studie keinen Unterschied für das Langzeitfolgen-Risiko, ob die Patienten gegen die beiden Viren geimpft waren oder nicht, berichten die Forschenden. Dieser Befund lässt aber außen vor, dass in der Studie nur Patienten im Krankenhaus mit schwerem Krankheitsverlauf untersucht wurden. Die Wahrscheinlichkeit dafür sinkt jedoch wiederum bekanntlich durch eine Impfung, sodass eine Immunisierung insgesamt durchaus das Risiko für Langzeitfolgen senkt, wie andere Studien zum Impfschutz vor „Long Covid“ zeigen.
„Unsere Ergebnisse unterstreichen die anhaltende Notwendigkeit, das Risiko einer Krankenhauseinweisung aufgrund dieser beiden Viren zu verringern“, sagt Al-Aly. „Sowohl bei Covid-19 als auch bei der saisonalen Grippe können Impfungen dazu beitragen, schwere Erkrankungen zu verhindern und das Risiko von Krankenhausaufenthalten und Todesfällen zu verringern.“ Eine hohe Impfquote sei besonders wichtig für gefährdete Bevölkerungsgruppen wie ältere Menschen und Menschen mit geschwächtem Immunsystem.
Grippe und Corona sind nicht harmlos
Die Ergebnisse dieser Studie können nicht auf Patienten mit leichteren Verläufen übertragen werden, da diese nicht untersucht wurden. Dennoch belegen die Ergebnisse, dass sowohl Corona als auch Grippe weiterhin ernstzunehmende Krankheiten sind, die nicht nur akute, sondern auch langfristige Auswirkungen haben können.
„Vor der Pandemie neigten wir dazu, die meisten Virusinfektionen als belanglos zu betrachteten: ‚Man wird krank und kommt in ein paar Tagen darüber hinweg.‘“, so Al-Aly. Doch das gilt nicht für jeden. „Manche Menschen leiden langfristig unter ernsthaften Gesundheitsproblemen. Wir müssen uns dieser Realität bewusstwerden und aufhören, Virusinfektionen zu trivialisieren, und verstehen, dass sie die Hauptursache für chronische Krankheiten sind“, mahnt Al-Aly. (The Lancet Infectious Diseases, 2023; doi: 10.1016/S1473-3099(23)00684-9)
Quelle: Washington University in St. Louis