Nachweis charakteristischer Proteine könnte Diagnose von Long Covid erleichtern
Verräterisches Muster: Im Blut von Patienten mit Long Covid finden sich andere Proteine als im Blut von gesunden Menschen, wie Forschende entdeckt haben. Diese Eiweiße könnten nicht nur der Auslöser für die Erkrankung, sondern auch ein potenzieller Marker für ihre Diagnose sein. Auch die Behandlung der Long-Covid-Symptome könnte durch die neuen Erkenntnisse erleichtert werden, wie das Team in „Science“ berichtet. Noch sind die Methoden aber nicht direkt in der Klinik anwendbar.
Nach einer Infektion mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 leiden einige Patienten unter Spätfolgen – Long Covid genannt. Etwa fünf Prozent aller Infizierten entwickeln anhaltende Symptome und leiden noch Monate später unter chronischer Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel oder Konzentrationsstörungen. Auch verschiedene Organe können betroffen sein. Besonders häufig kommen diese Spätfolgen bei Patienten mit schwerem Covid-19-Verlauf vor, aber auch mildere Verläufe können Long Covid nach sich ziehen.
Was genau die tückische Erkrankung hervorruft, ist jedoch bislang unklar. Wegen seines diffusen und vielfältigen Krankheitsbildes wird Long Covid auch oft gar nicht oder erst spät diagnostiziert. Ein eindeutiger Biomarker für Long Covid, der sich leicht messen lässt, konnte trotz intensiver Suche bisher nicht identifiziert werden. Ebenso fehlt es weiterhin an einer effektiven Therapie gegen Long Covid.
Suche nach Biomarkern im Blut
Ein Forschungsteam um Carlo Cervia-Hasler von der Universität Zürich hat nun im Blut von Long-Covid-Patienten systematisch nach einem solchen Biomarker gesucht. Dafür analysierten die Mediziner insgesamt 268 Blutproben von 73 Covid-19-Patienten, die anschließend vollständig genesen sind, sowie 40 Patienten, die noch sechs Monate nach ihrer akuten Corona-Infektion unter Long Covid litten. Als Kontrolle dienten Blutproben von 39 gesunden Menschen, die nicht mit Corona infiziert waren.
Im Blutserum der Testpersonen bestimmten die Forschenden jeweils die Menge von 6.596 verschiedenen körpereigenen Proteinen. Diese Daten verglichen sie zwischen den drei Personengruppen. Zudem verglichen sie die Blutproben von Long-Covid- und Covid-19-Patienten während der Infektion sowie nach sechs und zwölf Monaten.
Verändertes Protein-Muster im Blutserum
Die Auswertungen ergaben, dass bei Long-Covid-Betroffenen die Proteinmischung im Blut verändert ist und sich von der gesunder oder genesener Menschen unterscheidet. Während einige Bestandteile reduziert sind, kommen andere häufiger vor. Auffällig ist demnach unter anderem ein Mangel des Proteins C7, wie Cervia-Hasler und seine Kollegen feststellten. „C7 gehört zum Komplementsystem, das Teil der angeborenen Immunreaktion ist“, erklären sie. Dieses System ist normalerweise unter anderem dafür zuständig, Krankheitserreger und geschädigte Zellen zu beseitigen.
„Unsere Analysen enthüllen, dass das Komplementsystem der am stärksten deregulierte biologische Signalweg bei Long Covid ist“, konstatieren die Forschenden. Dies könnte möglicherweise auch einige typische Befunde und Symptome bei Long-Covid-Patienten erklären. Denn wenn dieser Teil der Immunabwehr fehlerhaft arbeitet, kann dies auch anhaltende Entzündungen, Gewebeschäden und Veränderungen des Blutes verursachen, eine sogenannte thromboinflammatorische Reaktion. Diese fördert die Verklumpung von Blutzellen und hat zum Beispiel Thrombosen zur Folge.
Auslöser für Entzündungen und Mikrothrombosen
Insgesamt könnte die Deregulierung des Komplementsystems damit auch für diese Symptome im Krankheitsbild von Long Covid verantwortlich sein, schließen Cervia-Hasler und seine Kollegen. Darauf deuten auch die weiteren Funde hin. Demnach sind bei Long Covid auch die Proteine der Blutgerinnung und Wundheilung verändert. Dazu gehören beispielsweise der von Willebrand-Faktor (vWF) und Antithrombin III.
Im Blut der Menschen mit besonders lange andauernden Long-Covid-Symptomen fanden sich zudem verstärkt Klümpchen aus Monozyten und Blutplättchen, wie das Team berichtet. Auch stärker aktivierte Blutplättchen und Anzeichen für defekte rote Blutkörperchen wurden nachgewiesen. „Angesichts dieser Daten sollte man erwägen, Long-Covid-Patienten auch früh auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu untersuchen“, schreiben Cervia-Hasler und seine Kollegen
Chance für bessere Diagnose und Therapie
Zugleich könnten die identifizierten Long-Covid-Proteine möglicherweise als Biomarker für die Diagnose der Erkrankung dienen. Um dies zu bestätigen, müssen die Versuche jedoch zunächst mit mehr Patienten und mehr Blutproben wiederholt werden, wie die Forschenden einräumen. Auch milde Krankheitsverläufe müssten dann stärker berücksichtigt werden. Die Ergebnisse sind daher noch nicht direkt in der Klinik anwendbar.
Darüber hinaus eröffnen die Erkenntnisse neue Behandlungsmöglichkeiten für Long-Covid. „Schon verfügbare Wirkstoffe, die am terminalen Komplement-Signalweg ansetzen, könnten neue Therapie-Strategien für Long Covid und möglicherweise andere Post-Infektionssyndrome bieten“, so die Wissenschaftler. Dafür sei jedoch weitere Forschung nötig, um die potenziellen Angriffspunkte und die Wirkung möglicher Medikamente genauer zu untersuchen.
Ähnlich sieht es auch Wolfram Ruf von der Universitätsmedizin Mainz: „Behandlungen von Menschen mit einer akuten Covid-19-Erkrankung mit Gerinnungs- und Komplement-Hemmern haben zu gemischten Ergebnissen geführt“, schreibt er in einem begleitenden Kommentar zur Studie. Die nun entdeckten für Long Covid spezifischen Blutmerkmale legen aber nahe, dass diese Medikamente bei Long Covid helfen könnten. Klinische Tests sollten dies untersuchen, so Ruf.
Auch eine Behandlung mit Antikörpern, die das Komplementsystem wieder ins Gleichgewicht bringen, ist Ruf zufolge denkbar. Weiter untersucht werden soll in diesem Zusammenhang auch, inwiefern im Körper schlummernde Herpesviren bei Long Covid reaktiviert sind und wie diese genau auf das Komplementsystem wirken. Denn Cervia-Hasler und seine Kollegen fanden im Blut der Long-Covid-Patienten auch übermäßig viele Antikörper gegen Herpesviren. Diese könnten auf reaktivierte Viren hindeuten und das Komplementsystem durcheinander gebracht haben, so die Mediziner.
Relevant auch für Long Flu und Long Cold?
Neben Long Covid haben Wissenschaftler in den vergangen Jahren auch verstärkt die Symptome Long Cold und Long Flu untersucht. Ob bei diesen Spätfolgen von anderen Infektionskrankheiten ebenfalls das Komplementsystem oder ein anderer der identifizierten Marker von Long Covid betroffen ist, kann die aktuelle Studie jedoch nicht beantworten.
„Die Frage, ob die identifizierten Biomarker spezifisch für Covid-19 sind oder auf andere Erreger im Rahmen postviraler Syndrome übertragbar sind, bleibt offen“, sagt Clara Lehmann von der Uniklinik Köln. „Es bleibt unklar, ob es sich um einen Covid-19-spezifischen Mechanismus handelt und inwieweit er auf andere Erreger übertragbar ist.“ (Science, 2024; doi: 10.1126/science.adg7942)
Quelle: American Association for the Advancement of Science (AAAS)