Künstliche Gelenke könnten damit in Zukunft seltener nötig sein
Ein neues Knie, bitte: Wissenschaftler haben ein Biomaterial entwickelt, mit dem sich beschädigter Knorpel in Gelenken zu neuem Wachstum anregen lässt. Es wird in Form einer dicken Paste direkt ins betroffene Gelenk injiziert, wo es dem Knorpelgewebe als bioaktives Gerüst dient. Nach einigen Monaten, wenn der Knorpel sich wieder regeneriert hat, löst sich das Biomaterial schließlich rückstandslos auf. In Zukunft könnte so womöglich häufiger auf den Einsatz künstlicher Gelenke verzichtet werden, wie das Team berichtet.
Einmal geschädigter Knorpel bleibt in der Regel geschädigt – und das ganz egal, ob er durch altersbedingten Verschleiß oder durch einen Unfall in Mitleidenschaft gezogen wurde. Denn anders als zum Beispiel unsere Haut oder einige innere Organe wie die Leber wächst Knorpel nicht von allein wieder nach. Dadurch fehlt im betroffenen Gelenk irgendwann die „Polsterung“, die Knochen reiben schmerzhaft aufeinander und es kann zu Folgeerkrankungen wie Arthrose kommen.
Hilfe zur Selbsthilfe für Gelenke
Sind die Knorpelschäden sehr massiv, hilft oft nur noch ein künstliches Gelenk. Doch für den Patienten ist das mit einer großen Operation, einer langen Rehabilitation und einigen Risiken verbunden. Es gibt daher immer wieder Ansätze, den geschädigten Knorpel stattdessen zu generieren, zum Beispiel indem man Knorpelzellen aus der Nase entnimmt, aus ihnen neues Gewebe züchtet und dieses dann im betroffenen Gelenk einsetzt.
Einen besonders innovativen Ansatz haben nun Jacob Lewis von der Northwestern University in Illinois und sein Team verfolgt. Sie entwickelten ein bioaktives Material, das in Form einer dicken Paste direkt in das betroffene Gelenk injiziert wird. Dort wandelt es sich zu einem gummiartigen Schleim und regt aufgrund seiner besonderen Zusammensetzung neues Knorpelwachstum an. Nach getaner Arbeit löst sich die Paste schließlich rückstandslos auf.
In Experimenten an Schafen, deren Gelenke den menschlichen in vielerlei Hinsicht ähneln, erwies sich das Biomaterial bereits als erfolgreich: Innerhalb von sechs Monaten hatte sich der geschädigte Knorpel in den Kniegelenken der Tiere deutlich regeneriert und ihnen so eine bessere Trittbelastung ermöglicht, wie Lewis und seine Kollegen berichten.
Ein bioaktives Nanogerüst als Schlüssel
Doch wie funktioniert dieses potenzielle „Wundermittel“? Die Paste besteht im Wesentlichen aus zwei Komponenten: einem bioaktiven Peptid, das an ein für Knorpelwachstum und -erhalt unverzichtbares Protein namens TGFb-1 bindet und dadurch die Entstehung von neuem Knorpelgewebe anregt, und aus modifizierter Hyaluronsäure.
„Viele Menschen sind mit Hyaluronsäure vertraut, weil sie ein beliebter Inhaltsstoff in Hautpflegeprodukten ist“, erklärt Seniorautor Samuel Stupp. „Sie kommt auch in vielen Geweben des menschlichen Körpers vor, unter anderem in den Gelenken und im Gehirn. Wir haben sie ausgewählt, weil sie den natürlichen Polymeren im Knorpel ähnelt.“ Dadurch kann sie im Gelenk die natürliche Architektur des Knorpels nachahmen und so zusammen mit dem bioaktiven Peptid eine Art Gerüst aus faserigen Bündeln bilden.
Dieses Gerüst soll das Gelenk in der Zeit nach der Behandlung stützen und außerdem als Besiedlungsfläche für das neu entstehende Knorpelgewebe dienen. Wenn sich das Biomaterial dann langsam selbst auflöst, ist der neu entstandene Knorpel schon nicht mehr auf die Unterstützung des Gerüsts angewiesen, wie die Forschenden erklären.
Paste mit großer Zukunft?
Lewis und sein Team können sich vorstellen, dass ihr Biomaterial künftig routinemäßig bei verschiedenen medizinischen Eingriffen wie Gelenkspiegelungen zum Einsatz kommt, die kleine Läsionen am Knorpel hinterlassen. Eines Tages ist die Paste dann vielleicht sogar so weit entwickelt, dass sich mit ihr Arthrose und andere Gelenkserkrankungen heilen lassen und auch der Einsatz künstlicher Gelenke seltener nötig wird, so die Hoffnung der Forschenden.
Noch müssen aber weitere Tests folgen, um den Knorpelersatz und seine Wirkung zu überprüfen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2024; doi: 10.1073/pnas.2405454121)
Quelle: Northwestern University