Wie extrachromosomale DNA-Ringe Krebszellen helfen – und was dagegen wirken könnte
Krebszellen mit Helfern: Forschende haben herausgefunden, warum einige Krebstumore kaum auf Krebstherapien und die Immunabwehr reagieren. Sie enthalten kleine, extrachromosomale DNA-Ringe, die diese Krebszellen widerstandsfähiger und aggressiver machen. Denn diese DNA-Ringe enthalten nicht nur Krebsgene und deren Verstärker – sie hemmen auch die Immunabwehr und agieren sogar gemeinsam. Die gute Nachricht: Es gibt ein Mittel, das diese ecDNA mitsamt ihrer Trägerkrebszellen beseitigen kann.
Eigentlich liegt das Erbgut unserer Zellen in unseren Chromosomen – sie teilen den fast zwei Meter langen DNA-Strang in Pakete auf und sorgen dafür, dass das Genom bei der Zellteilung korrekt auf beide Tochterzellen verteilt wird. Doch in Krebszellen gibt es zusätzlich extrachromosomale DNA. Einige dieser ecDNA-Ringe tragen mehrere Krebsgene in sich, andere nur regulatorische Abschnitte oder DNA unbekannter Funktion. Auffällig ist jedoch, dass Krebstumore mit vielen dieser DNA-Ringe oft besonders aggressiv wachsen und weniger gut auf Krebstherapien ansprechen.
Warum und wie die DNA-Ringe Krebs hartnäckiger und aggressiver machen können, hat nun ein Forschungsteam um Paul Mischel von der Stanford University aufgeklärt. Für ihre Studie untersuchten sie Tumorzellen von fast 15.000 Krebspatienten und 39 verschiedenen Krebsarten. Sie bestimmten, ob und welche DNA-Ringe in den Krebszellen vorhanden waren, was diese extrachromosomalen Erbgutstücke kodieren und wie sie sich bei der Zellteilung verhalten.
Bei aggressiven Krebsarten besonders häufig
Das erste Ergebnis: Die DNA-Ringe kommen zwar im Schnitt nur in rund 17 Prozent aller Krebszellen vor, doch bei manchen Krebsarten sind sie erheblich häufiger. Beim aggressiven HER2+-Brustkrebs trägt beispielsweise fast die Hälfte der Krebszellen diese extrachromosomale DNA in sich, wie Mischel und sein Team feststellten. Ähnliches gilt für Glioblastome des Gehirns und das ebenfalls aggressive, schnell metastasierende Liposarkom. Bei Adenokarzinomen des Darms sind es gut 37 Prozent und bei Blasenkrebs, Eierstockkrebs und einigen Lungentumoren noch gut 20 Prozent.
Die Analysen ergaben zudem, dass Krebszellen in späteren Stadien der Tumorentwicklung und auch nach einer Chemotherapie mehr DNA-Ringe enthalten als zuvor. Ihre Präsenz ist zudem meist mit Metastasen und einer schlechteren Überlebenschance verknüpft, wie das Team ermittelte. „Wir bekommen damit eine ganz neue Sicht auf einen häufigen und aggressiven Mechanismus, der Krebs antreibt“, sagt Mischel.
Aktive Bremser für das Immunsystem
Die zweite Überraschung: Die DNA-Ringe in den Krebszellen enthalten nicht nur Krebsgene und Verstärker, sondern auch Gensequenzen, die die Immunreaktion auf den Krebs aktiv hemmen. „34 Prozent der Tumore mit ecDNA tragen zusätzliche Kopien immunmodulatorischer Gene in den DNA-Ringen“, berichten die Forschenden. Diese Gene stören die Aktivierung der nahgelegenen Lymphknoten, blockieren Immunbotenstoffe und hemmen die krebszerstörenden T-Killerzellen.
Das könnte erklären, warum Krebstumore mit ecDNA schneller wachsen und metastasieren, aber auch, warum sie schlechter auf Immuntherapien beispielweise mit Checkpoint-Inhibitoren ansprechen, wie Mischel und seine Kollegen berichten.
DNA-Ringe agieren gemeinsam
Die dritte Überraschung: Die extrachromosomalen DNA-Ringe agieren nicht einzeln, sondern können sich gegenseitig ergänzende Gruppen bilden. „Mehrere ecDNAs, die ursprünglich aus verschiedenen Chromosomen-Genorten hervorgegangen sind, können in derselben Krebszelle koexistieren und lagern sich dann oft zu Mikrometer-großen Klumpen im Zellkern zusammen“, erklären Mischel und sein Team. Dabei wirken DNA-Ringe mit regulatorischen Sequenzen aktivierend auf die ecDNA mit Krebsgenen oder immunmodulatorischen Genen.
Und nicht nur das: Diese sich gegenseitig fördernden DNA-Ringe werden bei der Teilung der Krebszellen auch überproportional oft gemeinsam vererbt. „Das war eine enorme Überraschung“, sagt Mischel. „Denn es widerspricht der Mendelschen Regel, nach der Gene, die nicht auf einem gemeinsamen Chromosom liegen, unabhängig voneinander vererbt werden.“ Stattdessen scheinen die Krebszellen bevorzugt die für sie günstigen ecDNA-Kombinationen an Tochterzellen weiterzugeben.
„Tochterzellen, die wiederholt vorteilhafte Kombinationen der DNA-Ringe erben, müssten eigentlich selten sein, wenn ihre Vererbung wirklich unabhängig ist“, sagt Co-Seniorautor Howard Chang von der Stanford University. „Aber wir sehen weit mehr solcher ‚Jackpot-Ereignisse‘. Dies hat für die Krebszellen enorme Vorteile.“
Neuer Wirkstoff tötet gezielt ecDNA-Krebszellen ab
Doch es gibt auch eine positive Nachricht: Mischel und sein Team haben auch herausgefunden, wie man Tumorzellen mit extrachromosomaler DNA abtöten kann. Denn es gibt einen Wirkstoff, der eine Schwäche der ecDNA-haltigen Krebszellen ausnutzt. Der Code ihrer ringförmigen DNA-Stücke wird nahezu ständig ausgelesen – selbst bei der Zellteilung. Dadurch sind diese Krebszellen anfällig gegen Wirkstoffe, die ein für diesen Prozess wichtiges Protein, CHK1, hemmen.
In ersten Tests hemmte dieser CHK1-Inhibitor das Tumorwachstum von Krebszellen mit ecDNA um 64 bis 97 Prozent. „Dies spricht dafür, dass die nächste Generation solcher CHK1-Hemmer eine vielversprechende Strategie gegen ecDNA-haltige Krebsarten sein könnte“, schreiben die Forschenden. Erste klinische Studien damit haben bereits begonnen. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-08107-3; doi: 10.1038/s41586-024-07861-8; doi: 10.1038/s41586-024-07802-5)
Quelle: Stanford Medicine