Was macht unser Denkapparat beim Ausruhen? Offenbar ist raffinierte Unruhe angesagt: Das Gehirn spielt Aktivitätsmuster vorhergehender Erfahrungen und Entscheidungen im Zeitraffer erneut ab – genau in der Reihenfolge, in der wir sie erlebt haben. Dieses System haben Forscher durch eine neuentwickelte Methode sichtbar gemacht. Die Ergebnisse legen nahe, dass das erneute Abspielen eine wichtige Rolle für Gedächtnisfunktionen und zukünftige Entscheidungen spielt.
Mysterium Gehirn: Wenn der Mensch über sein Denkorgan nachdenkt, kommt er ins Grübeln. Wie entstehen in diesem Netzwerk aus Nervenzellen unsere komplexen Eindrücke der Welt, wie entscheiden wir und wie formen sich Erinnerungen? Klar ist bisher zumindest: Bei jeder Erfahrung und jeder Entscheidung, vernetzen sich unterschiedliche Bereiche des Gehirns. So entstehen spezifische Muster der Gehirnaktivität – quasi neuronale Fingerabdrücke bestimmter Erfahrungen und Entscheidungen.
Diese Signaturen lassen sich durch Verfahren der Hirnforschung erfassen – zumindest teilweise. So zeichnete sich bereits ab: Wenn wir uns an Erfahrungen oder Entscheidungen erinnern, zeigt das Gehirn die gleichen Aktivitätsmuster wie beim Live-Erlebnis. Die zentrale Rolle spielt dabei der Hippocampus, ein Bereich im inneren Rand der Großhirnrinde. Detailliertere Untersuchungen waren bisher allerdings schwierig. Das Problem: Bislang konnte die in der Hirnforschung eingesetzte Magnetresonanztomographie (MRT) die teils sehr schnellen Prozess beim Menschen nicht genau verdeutlichen.
Ein Logarithmus für die Hirnforschung
Das liegt daran, dass die MRT nicht die einzelnen elektrischen Impulse im Gehirn misst, sondern nur den Blutfluss, welcher erst langsam nach einem Impuls ansteigt. Daher wurden die schnellen neuronalen Wiederholungen im Hippocampus bisher nur bei Nagetieren untersucht – und zwar durch implantierte Sensoren. Allerdings ermöglichten diese Tierversuche keine Einblicke in die Prozesse bei den höheren Hirnleistungen des Menschen.
Das neuentwickelte Verfahren der Forscher um Nicolas Schuck vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Yael Niv von der Princeton University ermöglicht nun diese Einblicke auf der Basis der nichtinvasiven MRT-Untersuchungen. Der Schlüssel ist ein Algorithmus, den die Wissenschaftler für das Erkennen von Mustern programmiert haben. Dieses lernfähige Programm kann bestimmte Aktivitätsmuster im Hippocampus identifizieren, die für das Auge oder herkömmliche Programme nicht erkennbar sind, erklären die Wissenschaftler. Dieses Verfahren haben sie nun bei ihrer aktuellen Studie zur Untersuchung der Hirnaktivität nach Erfahrungen beziehungsweise Entscheidungen eingesetzt.
Die Wissenschaftler ließen dazu 33 Freiwillige in mehreren 40-minütigen Blöcken eine komplexe Entscheidungsaufgabe bearbeiten, während sie im MRT lagen. Dabei erfassten die Forscher die Hirnaktivität der Probanden und analysierten anschließend die Signale. In ihnen spiegelten sich die mentalen Prozess der Probanden wider: So konnten die Wissenschaftler für jede Art von Entscheidung ein spezifisches neuronales Aktivitätsmuster aufzeichnen.
Erneutes Abspulen im Zeitraffer
Nach jedem Aufgabenblock sollten sich die Probanden für fünf Minuten ausruhen. Dabei blieben sie im MRT liegen und die Aufzeichnungen liefen weiter. Wie die Forscher berichten, zeigten die Analysen der Hirnaktivität in diesen Ruhephasen: Der Hippocampus wiederholte die für die vorherige Entscheidungsaufgabe typischen Aktivitätsmuster. „Während die Probanden in den Pausen zwischen den Aufgaben ruhig dalagen, spielte der Hippocampus die soeben erledigte Entscheidungsaufgabe erneut ab. Dabei konnten wir die Reihenfolge der zuvor stattgefundenen Erlebnisse beobachten. Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass diese Wiederholung im Gehirn beschleunigt – quasi im Zeitraffer – geschieht“, sagt Schuck. Seine Kollegin Niv sagt dazu: „Die Fähigkeit des Hippocampus, Erfahrungen im Zeitraffer durchzuspielen, scheint eine zentrale Rolle dabei zu spielen, dass aus Erfahrungen Repräsentationen im Gehirn werden, die uns dabei helfen, Entscheidungen zu treffen“.
Neben diesen Ergebnissen sehen die Forscher die Bedeutung ihrer Studie in der Erprobung ihres neuen Verfahrens. Es könnte ihnen zufolge nun die Hirnforschung voranbringen – und auch konkret klären, welche Bedeutung die Wiederholungsprozesse für bewusstes Planen und den Gedächtnisabruf haben. „Wir hoffen Einblicke darin zu gewinnen, was dieser Prozess mit unseren subjektiven Erfahrungen zu tun hat“, so Schuck.