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Bonobos erkennen Unwissenheit anderer

Bonobos erkennen Unwissenheit anderer

Auch unsere nächsten Verwandten beherrschen die „Theory of Mind”

Gedankliche Leistung: Wie wir Menschen können auch Bonobos erkennen, ob ihr Gegenüber etwas nicht sieht oder weiß. Die Menschenaffen machen den Unwissenden dann per Fingerzeig darauf aufmerksam, wie ein Experiment zeigt. Dies belegt, dass Bonobos die Fähigkeit zur Perspektiv-Übernahme besitzen und demnach Aspekte der sogenannten „Theory of Mind“ beherrschen. Diese Fähigkeit ist demnach kein exklusives Merkmal der menschlichen Kognition und Kommunikation, sondern kommt auch bei Menschenaffen vor.

Die allermeisten von uns sind in der Lage, sich in ihre Mitmenschen hineinzuversetzen und zu erahnen, was in ihrem Kopf vor sich geht. Diese mentale Fähigkeit, die Gedanken und Vorstellungen der Anderen nachzuvollziehen, wird „Theory of Mind“ genannt. Durch sie können wir Rückschlüsse auf den Wissensstand anderer ziehen und unser Verhalten, wenn nötig, anpassen. Dadurch sprechen wir beispielsweise mit unseren Mitmenschen oder bringen ihnen etwas bei.

„Die Fähigkeit, Wissenslücken zu erkennen, ist das Herzstück unserer anspruchsvollsten sozialen Verhaltensweisen und von zentraler Bedeutung für die Art und Weise, wie wir kooperieren, kommunizieren und strategisch zusammenarbeiten“, erklärt Seniorautor Chris Krupenye von der Johns Hopkins University.

Kanzi, einer der drei Bonobos in dem Experiment. © Ape Initiative

Wie reagieren Bonobos auf Unwissenheit eines Teamkollegen?

Doch ist das eine rein menschliche Kompetenz oder sind auch andere Primaten zur „Theory of Mind“ fähig? Dieser bislang umstrittenen Frage sind Krupenye und sein Kollege Luke Townrow jetzt in einem Experiment nachgegangen. Dabei arbeiteten sie mit drei männlichen Bonobos (Pan paniscus), die in einem Schutzgebiet der Ape Initiative in Iowa leben: Kanzi, Nyota und Teco; 43, 25 und 13 Jahre alt.

Die beiden Psychologen setzten die Bonobos jeweils zusammen mit einem Menschen an einen Tisch und ließen sie eine Kooperationsaufgabe lösen. Bei dem „Hütchenspiel“ platzierten die Forschenden eine Traube oder ein Cheerio unter einem von drei Bechern, während die Bonobos ihnen zuschauten. Die Affen wussten also stets, unter welchem Becher das Futter liegt, konnten aufgrund eines Gitters aber nicht selbst danach greifen.

Ihr menschlicher Kooperationspartner, der auf Anweisung des Bonobos den Becher heben und ihm die Belohnung geben sollte, konnte die Platzierung des Leckerbissens entweder ebenfalls sehen oder wurde durch eine Sichtbarriere daran gehindert, so dass er den richtigen Standort nicht kannte. Townrow und Krupenye beobachteten in beiden Situationen, wie sich die Affen jeweils verhielten: Würden die Bonobos erkennen, wenn der Mensch im Ungewissen blieb?

Vehementer Fingerzeig für den Unwissenden

Es zeigte sich, dass die Bonobos in beiden Fällen mit dem Finger auf den Becher zeigten, unter dem sich das Leckerli befand. Wenn ihr Teampartner die Sichtblockade vor sich hatte, zeigten die Affen jedoch deutlich häufiger und schneller auf diesen Becher, als wenn ihr Mitspieler durchgängig freie Sicht auf das Spiel hatte. War Letzteres der Fall saßen die Menschenaffen die meiste Zeit untätig herum und warteten auf ihre Belohnung.

Brauchte ihr menschlicher Mitspieler hingegen Hilfe, waren die Bonobos aktiver und verhielten sich mitunter sogar sehr demonstrativ: „Ihre Finger zeigten direkt durch das Gitter – es war klar, was sie zu kommunizieren versuchten“, so Krupenye. „Kanzi zeigte in bestimmten Phasen des Experiments wiederholt mit dem Finger auf den Becher. Zudem klopfte er mehrmals, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen, und war dabei ziemlich hartnäckig.“

Erster Beweis für „Theory of Mind“ bei Bonobos

Dieses Verhalten legt nahe, dass die Bonobos ahnten oder erkannten, wenn ihr Kooperationspartner unwissend war und ihm die entscheidende Information fehlte. Da Teamwork von den sozialen Affen gefragt war, um an die Traube zu kommen, passten sie ihre Kommunikation entsprechend an und teilten ihr Wissen, um diese Lücke effektiv zu schließen, wie Townrow und Krupenye erklären.

Nach Ansicht der Psychologen beweist das Experiment erstmals, dass die Affen den Zustand der Unwissenheit einer anderen Person mental verarbeiten und effektiv darauf reagieren können. Demnach besitzen diese Menschenaffen, die zusammen mit Schimpansen zu unseren nächsten Verwandten zählen, ebenfalls einige Aspekte der menschlichen Theory-of-Mind-Fähigkeiten.

Gemeinsame Kompetenz von Menschen und Affen

Die Erkenntnisse decken sich auch mit früheren Beobachtungen an wildlebenden Schimpansen. Diese warnen Mitglieder ihrer Gruppe durch Rufe, wenn diese sich einer Bedrohung durch eine Schlange nicht bewusst sind. In einem anderen Fall trauten sich Schimpansen in einem Affenhaus nur an Futter, wenn das Alphatier der Gruppe nichts davon wusste.

Zusammengenommen legen diese Experimente nahe, dass sich unsere Theory-of-Mind-Fähigkeiten und gedanklichen Leistungen schon zur Zeit des letzten gemeinsamen Vorfahrens von Schimpansen und Menschen entwickelt haben. „Diese Arbeit zeigt die reichhaltigen mentalen Grundlagen, die Menschen und andere Affen teilen – und legt nahe, dass sich diese Fähigkeiten vor Millionen von Jahren bei unseren gemeinsamen Vorfahren entwickelt haben“, erklärt Krupenye. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2025; doi: 10.1073/pnas.2412450122)

Quellen: Proceedings of the National Academy of Sciences, Johns Hopkins University