Wie visuelle und numerische Produktbewertungen uns in die Irre führen
Sterne- oder Punkte-Rating: Das Format von Produktbewertungen im Internet beeinflusst, wie wir das beworbene Produkt wahrnehmen. Wie eine Studie zeigt, werden Ratings mit Sternsymbole überschätzt und Punkteskalen im Zahlenformat unterschätzt. Ein Produkt mit der Bewertung 3,5 kommt demnach im Sterneformat besser weg als im Punkteformat und wird eher gekauft. Dahinter stecken zwei verschiedene Verzerrungseffekte unseres Gehirns.
Wer im Internet etwas kaufen möchte, schaut sich oft die Produktbewertungen an und richtet seine Kaufentscheidung danach aus. „Die meisten von uns kaufen heutzutage nichts, ohne die Bewertung zu überprüfen, und die Bewertung ist zu einem ebenso mächtigen Prädiktor für den Kauf geworden wie der Preis, die Marke oder sogar die Empfehlungen von Freunden und Familie“, erklärt der Marketing-Experte Deepak Sirwani von der University of British Columbia. Ähnliches gilt für Ratings und Entscheidungen auf Airbnb, Tripadvisor oder Uber.

Üblicherweise werden die verschiedenen Bewertungen anderer Kunden gemittelt und als Durchschnitts-Rating dargestellt. Zwar geben die einzelnen Kunden ihre Urteile in Form von ganzen Werten ab – etwa drei oder vier –, im Mittelwert entstehen aber überwiegend Ratings mit Bruchwerten wie zum Beispiel 3,8. Meist wird die Bewertung mithilfe von Sternsymbolen oder als Punktwert dargestellt.
Rating-Präsentationen im Test
Ein Team um Sirwani hat nun untersucht, ob es einen Unterschied macht, wie die Kundenbewertungen dargestellt werden: als Symbole oder als arabische Ziffern. Dazu führten sie zwölf Verhaltensexperimente durch, an denen je einige hundert Testpersonen teilnahmen. Die Forschenden präsentierten den Teilnehmenden unter anderem in zufälliger Reihenfolge verschiedene Bewertungen auf einer Skala von eins bis fünf, wobei zwischen einzelnen Ratings mindestens 0,25 Einheiten lagen.
Die Testpersonen sollten diese Werte jeweils auf einer horizontalen Linie einzeichnen, die von eins bis fünf reichte, aber keine Zwischenmarkierungen zur Orientierung enthielt. In einem weiteren Test sollten die Probanden angeben, ob sie die Werte 1,5 / 2,5 / 3,5 und 4,5 jeweils auf- oder abrunden würden. Einigen wurden diese Ratings dabei in Ziffernform, anderen in anteilig ausgemalten Sternchen von insgesamt fünf Sternen präsentiert.
Sterne werden über-, Ziffern unterbewertet
Die Experimente ergaben, dass die Testpersonen beispielsweise eine 3,2 oder 3,8 als besser bewertet wahrnahmen, wenn sie ihnen in Sternchenform präsentiert wurde. In numerischer Schreibweise bewerteten die Teilnehmenden eine 3,2 oder 3,8 hingegen jeweils schlechter. Auch bei anderen Rating-Werten wurden die Sterne von den Probanden in 79 Prozent der Fälle überbewertet, die arabischen Ziffern hingegen zu 71 Prozent unterbewertet.
Eine Kombination aus Ziffer und Sternen führte ebenfalls zur Unterbewertung. Den „wahren“ Wert konnten die Probanden im nie richtig einstufen.
Zwei Verzerrungseffekte
Aber warum? Dahinter stecken zwei psychologische Effekte, die unsere Wahrnehmung beeinflussen und verzerren. Der erste ist der „visuelle Vervollständigungseffekt“: Die Betrachter ergänzen unvollständige Bilder unbewusst. „Wenn die Symbole einen Bruchteil einer Zahl vermitteln – bei 3,5 also drei volle Sterne und einen halben Stern anzeigen – vervollständigt unser Gehirn automatisch dieses halbe Bild“, erklärt Sirwani.
Der zweite Effekt kommt bei Ziffern zum Tragen: „Wenn die gleiche Bewertung mit Zahlen kommuniziert wird, konzentrieren wir uns hingegen auf die linke Ziffer, die ‚3‘“, so der Forscher. Durch diese Fixierung auf den Wert vor dem Komma empfinden wir beispielsweise eine 3,5 näher an einer Drei als an einer Vier. Dies führt dazu, dass wir die Bewertung unbewusst unterschätzen.
Demnach verarbeitet unser Gehirn Bilder und Zahlen unterschiedlich und nimmt ihre Bedeutung daher anders wahr. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei der Verarbeitung von Sternen im Gehirn völlig andere Repräsentationen entstehen als bei der Verarbeitung arabischer Ziffern“, sagt Seniorautor Manoj Thomas von der Cornell University. Unterm Strich war in den Tests der verzerrende Effekt der visuellen Vervollständigung bei den Sternen stärker als die Verzerrung durch die Orientierung an der linken Ziffer.
Unrealistische Wahrnehmung mit Folgen
Für die Händler und Kunden macht das einen großen Unterschied. „Die Verkäufe könnten möglicherweise um Größenordnungen zunehmen, wenn nur noch Sterne anstelle von Zahlen verwendet werden“, sagt Sirwani. Früheren Studien zufolge kann sich der Umsatz um bis zu 200 Prozent steigern, wenn sich die Bewertung um nur 0,2 Punkte erhöht.
Doch in beiden Fällen können die Ratings irreführend sein, wie Sirwani und seine Kollegen betonen. Die Punkte führen dazu, dass Firmen ihre Produkte unter Wert verkaufen. Die Sterne können wiederum dazu führen, dass ein Unternehmen unwissentlich zu viel verspricht und aus Kundensicht zu wenig liefert.
Nach Ansicht der Forschenden sind daher neue Standards für Ratingformate nötig, um den Wettbewerb nicht zu verzerren, den Kunden einen realistischeren Eindruck zu verschaffen und ihnen eine fundierte Entscheidung zu ermöglichen.
Alternatives Sternchen-Rating?
Eine Möglichkeit wäre, von den maximal möglichen fünf Sternen nur die vollen und anteilig ausgemalten darzustellen, aber nicht die leeren oder halbleeren – bei einer 3,5 also drei volle und einen halbvollen Stern, aber nicht die übrigen Sterne. Optisch sind die Symbole dadurch alle komplett gefüllt und müssen nicht unterbewusst ergänzt werden. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Überbewertung der Sterne durch die Verwendung visuell vollständiger Sterne gemildert werden kann“, so das Team.
Weitere Studien könnten klären, ob ähnliche verzerrende Wahrnehmungseffekte auch auf andere Rating-Situationen und grafische Darstellungen zutreffen – etwa beim Füllstand von Batterien oder Benzintanks. (Journal of Marketing Research, 2025; doi: 10.1177/00222437251322425)
Quelle: Cornell University