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Wie entsteht unser Bewusstsein?

Wie entsteht unser Bewusstsein?

Experiment stellt zwei führende Bewusstseinstheorien auf die Probe

Auf dem Prüfstand: Wo und wie entsteht unser Bewusstsein im Gehirn? Bisher ist dies strittig. Jetzt haben Forschende die beiden führenden Theorien zur bewussten Wahrnehmung erstmals direkt gegenübergestellt und in einem Experiment überprüft. Diese konkurrierenden Bewusstseinstheorien verorten den Sitz unseres Bewusstseins in verschiedenen Hirnregionen und mit zeitlich verschiedenen Abläufen. Drei entscheidende Postulate dieser Theorien wurden nun überprüft – mit spannenden Ergebnissen, wie das Team in „Nature“ berichtet.

Was ist Bewusstsein? Unsere bewusste Wahrnehmung entsteht in dem Moment, in dem unser Gehirn eintreffende Reize registriert, sie verarbeitet und für uns erfahrbar, spürbar macht. Zusammen mit Erinnerungen und Gefühlen bildet dies die Grundlage für unsere innere Erfahrungs- und Gedankenwelt. Doch wo und wie entsteht sie? Seit Jahrhunderten versuchen Gelehrte dies zu klären – sowohl philosophisch als auch biologisch und neurophysiologisch.

Doch eine eindeutige Antwort steht aus – bis heute. „Die Suche hat zu verschiedenen Theorien des Bewusstseins geführt, die sich parallel entwickelt haben und sich in Bezug auf ihre Interpretation der neuronalen Basis oft widersprechen“, erklären die Forschenden des Cogitate-Konsortiums. Einer der Gründe dafür: Tests und Studien untersuchen oft nur einen Aspekt des Bewusstseins und werden zudem meist von Vertretern einer theoretischen Denkrichtung durchgeführt.

Zwei Theorien im Test-„Battle“

Anders die aktuelle Studie: Sie hat zwei führende Bewusstseinstheorien anhand von jeweils drei Kernmerkmalen, mit drei verschiedenen Methoden und durch Vertreter beider Theorien überprüft. „Die Stärke dieses Ansatzes liegt darin, dass wir unsere Theorien gemeinsam testen“, erklärt Lucia Melloni vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik (MPIEA) in Frankfurt/Main. „Dabei geht es nicht darum, einen Sieger zu küren, sondern darum, die Messlatte für die Überprüfung wissenschaftlicher Ideen höher zu legen.“

Im „Adversarial Testing” werden Kernannahmen zweier konkurrierender Theorien überprüft – von Vertretern beider Theorien. © Ana Perez Hernández

Durchgeführt wurden die Tests mit insgesamt 256 Testpersonen in sieben Laboren weltweit. Die unabhängigen Teams nutzten dafür drei sich ergänzende bildgebende Verfahren: die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRI), die Magnetenzephalografie (MEG) und Hirnstrommessungen mittels intrakraniellem EEG (iEEG). Die Tests bestanden im Wesentlichen darin, dass die Teilnehmenden verschiedene Gesichter und Objekte sahen, die sie nach ihrer Ausrichtung, Kategorie oder Übereinstimmung einordnen sollten.

1. Test: Welche Rolle spielt der präfrontale Cortex?

Das Entscheidende jedoch: Die Tests und Analysen waren so gewählt, dass sie drei Kernvorhersagen der beiden überprüften Bewusstseinstheorien – der Global Neuronal Workspace Theory (GNWT) und der Integrated Information Theory (IIT) – entweder bestätigen oder widerlegen.

Die GNWT (grün) sagt für das Bewusstsein eine hirnweite Vernetzung (Test 3) und unverzichtbare Verteilung des präfrontalen Cortex (PFC) voraus (Test 1). Das IIT (blau) postuliert dagegen eine Synchronisation nur der prinmären und sekundären Sinnesareale (V1/V2) und eine führende Rolle des hinteren Hirnbereichs.© Cogitate Consortium / Nature, CC-by 4.0

„Die erste Vorhersage betrifft die Regionen des Cortex, die die bewussten Informationen enthalten“, erklärt das Team. Laut GNWT ist für unser Bewusstsein der präfrontale Cortex unverzichtbar – der hinter unserer Stirn liegende Hirnbereich. Er muss demnach bei bewusster Wahrnehmung aktiv sein. Die IIT sieht dies anders: Ihr zufolge entsteht bewusste Wahrnehmung, indem sich die für die Reizverarbeitung zuständigen primären und sekundären Areale im Hinterkopf miteinander synchronisieren. Eine Mitwirkung des präfrontalen Cortex ist demnach nicht nötig.

Für dieses Kriterium zeigte sich: “Obwohl wir bei der Kategorie-Einstufung Aktivität im profrontalen Cortex fanden, war dies beim Erkennen der Identität nicht der Fall, beim Ausrichtungstest nur im MEG“, berichten die Forschenden. „Dies wirft die Frage auf, ob der präfrontale Cortex tatsächlich an der Übermittlung aller bewussten Inhalte beteiligt ist oder von nur einer Untergruppe – beispielsweise abstrakten Konzepte und Kategorien. Bei Letzterem müsste die Rolle des präfrontalen Cortex für das Bewusstsein redefiniert werden.“

2. Test: Zündfunke oder Dauerfeuer?

Die zweite Vorannahme betrifft die Art der Hirnaktivität während der bewussten Wahrnehmung. „Der IIT zufolge bleibt das Bewusstseins-Netzwerk im hinteren Cortex über die gesamte Dauer der bewussten Erfahrung aktiv“, erklärt das Team. Die GNWT hingegen sagt eine Art „Zündfunke“ zu Beginn der bewussten Bearbeitung voraus – einen kurzen Aktivitätsschub, durch den das Arbeitsgedächtnis upgedatet wird. „Dann sinkt die Aktivität wieder auf Grundniveau ab, bis eine andere ‚Zündung‘ den Beginn einer neuen Wahrnehmung kennzeichnet“, so die Forschenden.

Zeitlicher Verlauf der Hirnaktivität bei der bewussten Wahrnehmung: Laut GNWT (links) gibt es anfangs eine Zündfunken erhöhter Aktivität, dann sinkt diese bis zum nächsten Zündfunken wieder ab. Laut der IIT erfordert das Bewusstsein eine anhaltend erhöhte Aktivität im Hinterkopf.© Cogitate Consortium / Nature, CC-by 4.0

Das Ergebnis hier: „Keine der 655 Elektroden registrierte das von der GNWT vorhergesagte zeitliche Profil“, berichten die Wissenschaftler. Demnach fehlte der für diese Bewusstseinstheorie kennzeichnende „Zündfunke“ samt anschließendem Aktivitätsabfall. Dafür zeigte sich im Hinterkopf eine anhaltende Aktivität, wie von der IIT postuliert. Damit passen diese Beobachtungsdaten besser zur Integrated Information Theory (IIT) als zur GNWT. Allerdings zeigte sich dies nur im iEEG. „Von den MEG-Daten wurden die Annahmen keiner der beiden Theorien unterstützt“, schreibt das Team.

3. Test: Wie ausgedehnt ist die Vernetzung?

Der dritte Unterschied der beiden Bewusstseinstheorien betrifft Lage und Umfang der beteiligten Netzwerke. Die Global Neuronal Workspace Theory (GNWT) geht davon aus, dass Bewusstsein durch eine hirnweite Vernetzung entsteht – wie ihr Name schon andeutet. Die IIT postuliert hingegen, dass schon eine kleinräumige Synchronisation der primären und sekundären Sinnesareale im Hinterkopf das bewusste Empfinden hervorruft.

Die Tests dazu ergaben: Die iEEG-Messungen detektierten zwar eine kurzzeitige Synchronisierung der primären und sekundären visuellen Areale im Hinterkopf, diese Vernetzung hielt aber nicht an. Dafür zeichneten die Elektroden eine weitreichende Verbindung vom präfrontalen Cortex bis in die Sinnesareale auf. Die Daten des MEG und fMRT dagegen zeigten weder eine hirnweite Vernetzung, noch eine stabile Verbindung nur der Sinneszentren, stattdessen lag die Ausdehnung der vernetzten Hirnbereiche dazwischen.

Kein klarer „Sieger“

Nach Ansicht des Cogitate-Konsortiums haben die drei Tests damit keine der beiden Bewusstseinstheorien klar bewiesen. Stattdessen stellen die Ergebnisse beide Theorien in Frage: Für die GNWT fehlt der „Zündfunke“, zudem scheint der präfrontale Cortex nur an einigen Unteraspekten des Bewusstseins beteiligt. Bei der IIT fehlt der Nachweis einer anhaltenden Synchronisation der Sinnesareale im Hinterkopf.

„Die Ergebnisse erinnern uns eindringlich daran, dass selbst unsere etabliertesten Überzeugungen einer strengen Überprüfung bedürfen“, sagt Melloni. „Wenn wir das Bewusstsein wirklich verstehen wollen, dürfen wir uns nur von den Daten leiten lassen.“ Die Forschenden betonen zudem, dass diese Tests erst den Anfang der Experimente und Überprüfungen der Bewusstseinstheorien darstellen.

„Es gibt mehr als zwanzig Theorien über das Bewusstsein. Wir haben zwei davon getestet“, sagt Koautor Alex Lepauvre MPI für empirische Äthetik. „Jetzt laden wir andere dazu ein, diesen umfangreichen Datensatz zu nutzen und dazu beizutragen, das Forschungsgebiet weiter voranzubringen.“ (Nature, 2025; doi: 10.1038/s41586-025-08888-1)

Quelle: Nature, Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik