Das Studium der Soziologie dient nicht der Selbstfindung. Jedenfalls nicht mehr als das Studium anderer Fächer. Es kann sein, dass man auch etwas über sich selbst erfährt, sicher aber über einen Umweg: Wenn man Soziologie studiert, erfährt man über sich selbst nur dann etwas, wenn man eine Menge über die Gesellschaft gelernt hat. Genau um diesen Umweg geht es in der Soziologie. Wem dieser Umweg zu weit und zu mühsam ist, der sollte es lieber lassen. Denn zu viel Interesse, das man an sich selbst hat, blockiert das Verstehen der sozialen Verhältnisse, stört also das Erlernen der Soziologie.
Soziologie bedeutet nicht, sofort alles besser zu wissen als die Anderen. Im Gegenteil: Erst muss man lernen, den Anderen zuzuhören und sie zu verstehen. Wer Soziologie studiert, sollte Spaß daran haben herauszufinden, warum die Leute so denken, wie sie denken, und so handeln, wie sie handeln. Soziologie ist keine Anleitung zu schnellen Urteilen. Soziologie verlangt Geduld, sowohl im Studium als auch danach.
Soziologie interessiert sich für Einzelfälle eher weniger. Das hat zwei Konsequenzen. Erstens: Soziologie hat viel mit Zahlen zu tun. Das mag manche überraschen. Zweitens: Sie bietet kaum Anleitungen, wie man Menschen helfen kann. Soziologie ist nicht Sozialarbeit. Das mag manche frustrieren. Wer diese Überraschung und diese Frustration nicht aushält, für den ist ein Soziologiestudium vielleicht keine ganz so gute Idee.
Soziologie ist erst einmal Beobachtung, aber nicht nur Beobachtung. Wer Soziologie studieren will, sollte Interesse an Zusammenhängen haben, denen man mit der Frage “Warum?” zu Leibe rückt. Sinnvolles Fragen erfordert, sich mit Theorien abzugeben, komplizierte Texte zu lesen und sich auf Antworten gefasst zu machen, die nie endgültig und immer nur vorläufig zufriedenstellen sind. Soziologie ist keine Wissenschaft, die Wissen über zeitlos gültige Gesetzmäßigkeiten vermittelt.
Soziologie hat nichts mit unveränderlichen Wahrheiten und mit Selbstgewissheit zu tun. Dass es zu ein und demselben Problem mehrere Meinungen gibt, muss man in der Soziologie nicht nur aushalten, man sollte diese Pluralität der Perspektiven interessant finden. Sie geht soweit, dass sogar die Grenzen des Faches Soziologie selbst in der soziologischen Diskussion umstritten sind. Also gehört zur Soziologie auch herauszufinden, was Soziologie nicht ist.
Wer Soziologie studiert, sollte sich für Veränderungen in der Gesellschaft interessieren. Soziologie heißt aber nicht, zu wissen, was werden soll. Wer soziologisch forscht, will für andere und sich selbst mehr Klarheit darüber schaffen, wie die sozialen Verhältnisse sind. Daran anschließend kann man fragen, unter welchen Bedingungen sie sich ändern. Aber Soziologie bedeutet nicht, besser als die Leute zu wissen, wo es langgehen soll.