Der Goldberg bei Goldkronach: Die Namen verraten die Bedeutung dieser Orte. Hier nordöstlich von Bayreuth wurde über Jahrhunderten eines der reichsten Goldvorkommen Mitteleuropas ausgebeutet. Und der Name lockte auch einen der größten Universalgelehrten Deutschlands an. Zwei Tage lang hatte Alexander von Humboldt im Juli 1792 den Goldberg bei Goldkronach inspiziert, war die Fürstenzeche, den einzigen Schacht hinuntergefahren und in die dunklen Bergwerksgänge gekrochen. Er befand sich auf einer Inspektionsreise durch Franken. Der Goldberg, in den sich etwa 30 bis 40 Stollen gruben, die teilweise bis zu einem Kilometer lang und oft untereinander verbunden waren, hatte sein besonderes Interesse geweckt. Der Name des berühmten Forschers sollte danach für immer mit diesem Ort verbunden bleiben.
Erst wenige Monate vor seiner Reise waren Ansbach und Bayreuth dem königlichen Preußen durch einen Geheimvertrag einverleibt worden. Der kinderlose Markgraf Karl Alexander (1736-1806) hatte den mit ihm verwandten Hohenzollern in Berlin die beiden heruntergewirtschafteten Fürstentümer für eine stattliche Leibrente verkauft. Humboldt, der gerade erst sein Studium an der Bergakademie im sächsischen Freiberg abgeschlossen hatte, war erst im März 1792 durch das preußische Bergwerks- und Hüttendepartement zum Bergassessor ernannt worden. Für die preußische Krone sollte er nun die Wirtschaftlichkeit des fränkischen Bergbaus untersuchen.
In einem Brief schreibt er an einen Freund: »Ich habe den ehrenvollen Auftrag, die natürliche Beschaffenheit beider Markgrafentümer geognostisch (geologisch) und bergmännisch zu untersuchen.« Doch ob er »ganz dableibe und Berghauptmann werde« sei noch »ganz ungewiss«. Das Goldkronacher Revier, das er zwischen dem 17. und 20. Juli 1792 erstmals besuchte, war nur eine von vielen Stationen, die Humboldt auf seiner dreiwöchigen Inspektionsreise bereiste. Von Steben an der fränkisch-thüringischen Grenze über Naila bis Wunsiedel und Arzberg führte ihn seine Route quer durch den Frankenwald und das Fichtelgebirge: eine »unwirtliche, abgelegene und schwer zugängliche Gebirgslandschaft«, wie Frank Holl und Eberhard Schulz-Lüpertz in ihrem Buch »Alexander von Humboldt in Franken« schreiben.
»Nie war ein Wunsch so lebhaft in mir, als der Wunsch nach Erz« Alexander von Humboldt
Die Reise sollte für den 22-Jährigen der Beginn seiner fünf fränkischen Jahre werden, auf die man in Goldkronach besonders stolz ist. Im Goldbergbaumuseum an der Hauptstraße führt Museumsleiter Klaus-Dieter Nitzsche heute die Besucher über die zwei Etagen des fränkischen Sandsteinhauses. »Das ist der Humboldt-Raum«, sagt Nitzsche kurz vor dem Ende des Rundgangs. Originalmöbelstücke aus der Zeit Humboldts können leider nicht gezeigt werden. Nitzsche schränkt auch sofort ein, dass sich Humboldt wohl nur wenig in dem Zimmer im ersten Stock des ehemaligen Forsthauses aufgehalten habe, »weil er ja schon morgens um sechs Uhr bei den Gruben war«.
Niederschmetternde Bestandsaufnahme
Aus diesem Arbeitseifer, diesem »Getriebensein« wie es Holl und Schulz-Lüpertz ausdrücken, entstand ein Bericht von über 600 handschriftlichen Seiten. Die Bestandsaufnahme, die er nach seiner ersten Inspektionsreise in Franken seinen Vorgesetzten übergab, war niederschmetternd. In Goldkronach waren die Gruben teilweise eingestürzt und verfallen. In vielen weiteren Gegenden wurden technische Innovationen nicht angewendet, es fehlte den Bergarbeitern an Knowhow, aber auch an Motivation.
Doch Humboldts umfassende Analyse zeigte auch Lösungsvorschläge auf. So forderte er, die Arbeitszeit in den Gruben zu reduzieren und beim Abbau vermehrt auf das »Schießen«, das Sprengen des Gesteins zu setzen. Seinen Vorgesetzten imponierte der Arbeitseifer dieses jungen Mannes. Aus diesem Grund beriefen sie ihn schon im September desselben Jahres zum Oberbergmeister in den fränkischen Fürstentümern. »Alle meine Wünsche«, schreibt er einem Freund, »sind nun erfüllt. Ich werde von nun an ganz dem praktischen Bergbau und der Mineralogie leben.«
Obwohl damit eigentlich Bayreuth sein Amtssitz geworden war, hielt sich Humboldt dort wenig auf und bereiste wie schon auf seiner Inspektionsreise persönlich die einzelnen Reviere. Dieses Nomadenleben sollte ihn auch später auszeichnen. »Besonders der Goldbergbau in der Fürstenzeche in Goldkronach hatte sein Interesse geweckt«, schreiben Holl und Schulz-Lüpertz. Der Schacht im Ortsteil Brandholz war bereits 1363 in Betrieb genommen worden, doch war sie längst nicht mehr profitabel. Humboldt erklärte, dass er sich »drei Koffer mit Bergwerksakten aus dem 16. Jahrhundert aus dem Archive« der Plassenburg in Kulmbach habe kommen lassen, um den bisherigen Abbau besser zu verstehen und die Produktion wieder anzukurbeln. »Nie war ein Wunsch so lebhaft in mir, als der Wunsch nach Erz.« Dabei war es nicht das »Goldfieber«, dass den jungen Preußen erfasst hatte, sondern der Drang zur Verbesserung der Lage der einheimischen Bevölkerung, um der »Gegend nur einen kleinen Teil ihres alten Glanzes wiederzugeben«.
»In Goldkronach besonders bin ich glücklicher, als ich je wagen durfte zu glauben«Alexander von Humboldt
»In Goldkronach besonders bin ich glücklicher, als ich je wagen durfte zu glauben«, schrieb Humboldt später an einen Freund. Nach Holl und Schulze-Lüpertz war sein Enthusiasmus oft größer als die eigentliche Ausbeute. Er schaffte es jedoch wirklich, die Zeche mit einem genau abgestimmten Amalgamierverfahren, bei dem das zerstoßene Erz mit Quecksilber vermengt wird, wieder in die schwarzen Zahlen zu führen. Trotz seines jungen Alters, seiner Herkunft und der Sprachbarrieren vermochte es Humboldt durch seine Tatkraft Vertrauen in der einheimischen Bevölkerung aufzubauen. Gerade dies machte ihm seine »Arbeit lieb«, schreibt er. Holl und Schulz-Lüpertz erkennen in den vielen Briefen, die der Preuße aus Franken an Freunde und Kollegen schickte, »noch ein unverstelltes Bild auf Humboldts Persönlichkeit«.
Die erste Berufsschule
Sein humanistischer Ansatz war mit ein Grund, dass er im November 1793 aus eigener Tasche eine Bergschule in Steben gründete und finanzierte. »Die erste Berufsschule«, erklärt Nitzsche stolz und fügt hinzu, dass diese auch in Goldkronach hätte stehen können, hier habe man aber leider keinen passenden Raum gefunden. Die Unterrichtsmaterialien und den Lehrplan konzipierte Humboldt selbst, von Orthografie und Kalligrafie bis zu Bergrecht und Geologie. Als Lehrer suchte er sich einen erfahrenen Schichtmeister, der den fränkischen Dialekt sprach.
Das Bergwerksgeschäft war bis dahin vor allem das einer fahrenden Zunft gewesen. Die gut geschulten Bergleute kamen aus Böhmen, Österreich, Sachsen und dem Harz. Sie blieben in den Bergwerksorten, solange es Arbeit gab, und zogen weiter, sobald eine Fundstelle versiegte. Die einheimische Bevölkerung übernahm größtenteils nur Handlanger- und Tagelöhnerarbeiten. Humboldts Vorgesetzte erkannten bald den wirtschaftlichen Nutzen einer besseren bergmännischen Ausbildung und bezahlten ihm die Auslagen für seine Schule zurück. Das Geld spendete Humboldt wiederum an einen Witwenfond verunglückter Bergleute.
Humboldt kümmerte sich aber auch um die arbeitstechnische Sicherheit der Bergleute. Er erfand gleich mehrere Hilfsmittel, die die Arbeit in den Stollen sicherer machen sollte. Besonders das »schlechte Wetter« in den Gruben, die schlechte Luft Untertage beschäftigte ihn. Beispielsweise erfand er ein Atemgerät und einen »Lichterhalter«, eine Leuchte, die auch ohne Sauerstoffzuführung von außen brannte. Um die Wirksamkeit seiner Grubenleuchte zu beweisen, führte er Mitte Oktober 1796 ein Experiment in Berneck durch, einem Nachbarort Goldkronachs. Der Stollen »Beständiges Glück« war damals bekannt für seine schlechten Luftverhältnisse, weswegen ihn Humboldt für sein Experiment auswählte.
Fast wäre er selbst Opfer seines Versuchs geworden, wie er später berichtete. Neben seiner Lampe wurde er wegen der sauerstoffarmen Luft ohnmächtig und konnte nur durch Glück von einem Bergmann gerettet werden. Seine Lampe aber hatte den Test bestanden und das, so Humboldt, »war wohl der Ohnmacht wert«.
Humboldt war sich im Klaren, dass Franken nur eine Station auf seinem beruflichen und wissenschaftlichen Werdegang sein wird. Schon im Juli 1793 schreibt er einem Freund, dass eine große Forschungsreise »seit drei Jahren einer meiner geheimsten Wünsche« sei. Er wolle bald weiter, nach Asien, Sibirien und auch nach Amerika, um »höhere wissenschaftliche Pläne auszuführen«. Berlin versuchte ihn noch mit einer Beförderung zum königlichen Oberbergrat, mit mehr Geld und Zeit für seine wissenschaftlichen Forschungen zum Bleiben zu bewegen. Doch nach dem Tod seiner Mutter im November 1796, die ihm ein stattliches Erbe hinterließ, hatte Humboldt endlich die finanziellen Mittel, um seine Pläne in die Tat umzusetzen. Ende Februar 1797 nahm Humboldt Abschied von Franken.
Wertvolle Erfahrungen für Südamerika
Seine Erfahrung im Bergbau sollten ihm auf seiner fünfjährigen Südamerikareise von 1799 bis 1804 von großem Vorteil sein. In den Reisedokumenten, die ihm in Madrid ausgestellt wurden, gestattete man ihm ausdrücklich, »seine bergmännischen Studien« in den an Bodenschätzen reichen spanischen Kolonien in Amerika fortzusetzen. Humboldt sei ein »Meister des Selbstmarketings« gewesen, der es verstand, seine ehemalige Stellung und seinen Ruf zu nutzen, beschreiben ihn Holl und Schulz-Lüpertz. Obwohl nicht mehr im Dienst trug er auch in Amerika noch den Titel und die Uniform des preußischen Oberbergrats. Franken lässt ihn auch in seinen Reisebeschreibungen nicht los. Mehrfach vergleicht er die exotischen Landschaften Südamerikas mit denen Oberfrankens. Auf dem Weg zum Orinoco findet er »Glimmerschiefer, wie bei Goldkronach in Franken« und einige venezolanische Landschaften erinnern ihn an die »höhlenreichen Berge in Franken«.
Auch in der 3500 Einwohner großen »Humboldtstadt Goldkronach« hält man die Erinnerung an den preußischen Forscher wach. Ganz in der Nähe des Goldbergbaumuseums, im 650 Jahre alten Schloss, das eher einer Trutzburg gleicht, empfängt der ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete Hartmut Koschyk Humboldtbegeisterte. Als Historiker war ihm Humboldt natürlich schon immer ein Begriff, erzählt er bei Kaffee und Kuchen, doch seit er 2006 von Bayreuth nach Goldkronach gezogen sei, habe sich sein Interesse an dessen Person in Faszination und Leidenschaft gewandelt. Mit Freunden und Förderern gründete er 2008 das Alexander von Humboldt-Kulturforum, das sich zur Aufgabe gemacht hat, Humboldts fränkisches Wirken bekannter zu machen.
»Die Humboldt-Spezialitäten gehen auf das Humboldt-Kulturforum und das Humboldt Jubiläumsjahr 2019 zurück«, sagt Koschyk, während er noch eine Tasse »Humboldt-Kaffee« anbietet. Zum 250. Geburtstag des preußischen Universalgenies entwickelte man ein wahres »Humboldt-Merchandising« in Goldkronach. Neben dem Kaffee, gibt es einen »Humboldt-Trunk«, ein dunkles Exportbier; einen »Humboldt-Likör«, gebrannt unterhalb der Fürstenzeche; einen fränkischen Obstbrand mit dem Namen »Geist Humboldts«; »Humboldt-Laabla« (oberfränkisch für Brötchen) und einen »Humboldt-Laib« vom örtlichen Bäcker; einen »Humboldt-Seufzerla«, eine geräucherte Wurst mit Gewürzen aus Ländern die Humboldt bereiste; eine fränkische Fischzucht steuert einen »Humboldt-Goldsaibling« bei; und vor der Tür bei der Humboldtbüste blühen extra gezüchtete »Humboldt-Rosen«.
»Das ist der einzige Ort, der nachhaltig am Thema Humboldt drangeblieben ist«Hartmut Koschyk
Auf dem Goldberg kann man heute dem »Humboldt-Weg« folgen, auf den monatlichen Wanderungen des Kulturforums stattfinden. Auch »Humboldt-Tage« und ein »Humboldt-Genussfest« werden regelmäßig organisiert. Goldkronach hat sich so zum Zentrum einer Humboldtbegeisterung entwickelt. Apotheke, Gasthaus und Schule sind nach ihm benannt. Koschyk ist sich sicher, dass hier der »einzige Ort ist, der nachhaltig am Thema Humboldt drangeblieben ist«.
Doch auch das Goldkronacher Humboldtfieber erlitt vergangenes Jahr einen Rückschlag, wie Koschyk einräumt. Der geplante »Alexander von Humboldt-Museumspark«, der auf einem eineinhalb Hektar großen Areal unterhalb des Schlosses gebaut werden sollte, sei einem Bürgerbegehren zum Opfer gefallen. Kritiker bemängelten konzeptuelle Fehler und befürchteten hohe jährliche Kosten.
Doch an der Klimapartnerschaft mit der kolumbianischen Bergarbeiterstadt Falan in der Nähe von Bogotá will man festhalten. Wie in Goldkronach war Humboldt auch dort in die Stollen gekrochen, hat Veränderungen angeregt und Kritik an der Arbeitssituation der Bergarbeiter geäußert. »Goldkronach berät Falan«, um sanften Tourismus und ökologischen Landbau zu fördern, erklärt Koschyk. Noch diesen Monat reisen Vertreter der Klimapartnerschaft nach Südamerika. Die beiden Goldbergbaustädte schaffen so eine Verbindung zwischen zwei der prägendsten Lebensabschnitte Humboldts. Ganz im Sinn des Universalgelehrten, der alles in einem Netzwerk sah, einem »gemeinsamen Band«, das alles umschlingt.