Alle Menschen gehören nur einer Spezies an, in der es auch keine biologischen „Rassen“ gibt. Wir sind demnach alle gleichermaßen Mensch, unabhängig von unserer Ethnie. Obwohl die meisten Menschen dieser Aussage durchaus zustimmen, zeigt eine Studie anhand von impliziten Assoziationstests, dass weiße Menschen das Wort „Mensch“ eher mit ihrer eigenen ethnischen Gruppe in Verbindung bringen als mit anderen Ethnien. Nicht-weiße Probanden dagegen zeigten dagegen nicht die Tendenz, ihre eigene Ethnie als die „menschlichste“ zu empfinden.
Nach biologischen Kriterien gibt es keine verschiedenen „Menschenrassen“ und alle heute lebenden Menschen gehören zu einer einzigen Art: Homo sapiens. Genetische Analysen zeigen, dass die Variation zwischen Angehörigen der gleichen ethnischen Gruppe größer ist als die Variation zwischen verschiedenen Ethnien. Dennoch haben Menschen in der Geschichte immer wieder Unterschiede zwischen angeblichen „Rassen“ hervorgehoben, Personen bestimmter Ethnien das Menschsein abgesprochen und damit unter anderem kolonialistische Herrschaftsstrukturen gerechtfertigt. Bis heute haben viele Menschen unter rassistischen Vorurteilen zu leiden, beispielsweise im Bildungssystem, im Berufsleben und im Kontext von Polizeigewalt.
Implizite Assoziationen getestet
Obwohl heute kaum noch jemand behaupten würde, Menschen bestimmter Ethnien, Hautfarben oder Religionsgemeinschaften seien weniger Mensch als andere, sind implizite Vorurteile weit verbreitet. Das legt eine Studie nahe, die die unbewussten Assoziationen zu Ethnie und Menschlichkeit bei über 61.000 Personen mit unterschiedlichem ethnischem Hintergrund erhoben hat. Das Forschungsteam um Kirsten Morehouse von der Harvard University in Cambridge nutze dazu sogenannte Implizite Assoziationstests. Die Idee dahinter: Passt eine Information zu unseren Assoziationen, können wir schneller auf sie reagieren.
In den für die Studie genutzten Tests präsentierten Morehouse und ihr Team den Probanden jeweils menschliche Gesichter sowie verschiedene Wörter, die die Probanden per Tastendruck Kategorien zuordnen sollten. Beispielsweise sollten sie angeben, ob es sich auf den Fotos um afrikanische oder europäische Amerikaner handelt und ob ein Begriff – beispielsweise „Person“ oder „Hamster“ – in die Kategorie Mensch oder Tier gehört. Dabei wechselte die Tastenbelegung, sodass mal „Weiß“ und „Mensch“ sowie „Schwarz“ und „Tier“ auf der gleichen Taste lagen, mal andersherum. Je nachdem, bei welcher Tastenbelegung eine Testperson schneller die richtige Lösung eintippte, folgerten die Forschenden, dass sie Schwarze oder Weiße eher mit dem Konzept „Mensch“ assoziierte. In verschiedenen Experimenten variierten die Forscher die Gesichter, um weitere Ethnien einzubeziehen.
Alle Menschen sind gleich, aber manche sind gleicher?
Das Ergebnis: „Obwohl fast alle Testpersonen ausdrücklich bejahten, dass alle ethnischen Gruppen gleichermaßen Menschen sind, assoziierten weiße Teilnehmer in den impliziten Assoziationstests das Wort ‚Mensch‘ durchweg eher mit weißen als mit schwarzen, hispanischen und asiatischen Gruppen“, berichtet das Forschungsteam. Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich bei den Probanden um weiße Amerikaner oder um Weiße aus anderen Regionen der Welt handelte. Bei Personen, die sich selbst als konservativ bezeichneten, war der Effekt etwas stärker ausgeprägt als bei Personen, die sich als liberal einstuften, und bei Männern etwas stärker als bei Frauen. Alter, Religion und Bildung hatten dagegen keinen signifikanten Effekt. „Nicht-Weiße Teilnehmer zeigten keine Verzerrung in Richtung ‚Mensch = eigene Gruppe‘“, schreiben Morehouse und ihr Team. „Wenn der Test dagegen zwei Gruppen umfasste, die nicht der eigenen entsprachen, etwa wenn Probanden asiatischer Abstammung den Test Schwarz/Weiß – Mensch/Tier durchführten, zeigten auch nicht-weiße Teilnehmer eine ‚Mensch = Weiß‘-Assoziation.“
Um herauszufinden, ob die Ergebnisse vor allem dadurch zustande kamen, dass weiße Menschen ihre eigene Ethnie besonders stark mit dem Konzept Mensch assoziierten, oder dadurch, dass sie andere Ethnien mit dem Konzept Tier in Verbindung brachten, führte das Team die gleichen Tests nicht nur mit Begriffen aus dem Tierreich durch, sondern auch mit zahlreichen weiteren Kategorien, darunter neutrale wie Kleidungsstücke und Möbel, positiv besetzte wie Götter, Blumen und Desserts, sowie negativ besetzte wie Gifte und Katastrophen. „Der Effekt blieb auch bestehen, wenn das Konzept Mensch mit anderen Attributen kontrastiert wurde“, erklären die Forscher. „Ausschlaggebend war also die Unterscheidung zwischen Mensch und Nicht-Mensch, nicht zwischen Mensch und Tier. Insgesamt legen diese Arbeiten nahe, dass heutige Menschen, die einer gesellschaftlich dominanten Gruppe angehören, nicht von der Überzeugung befreit sind, dass ihre Gruppe menschlicher ist als andere.“
Reale Auswirkungen unklar
Inwieweit unbewusste Vorurteile, die mit impliziten Assoziationstests gemessen werden, reale Auswirkungen haben, ist unklar. Bezüglich expliziter Überzeugungen deuten Studien darauf hin, dass Menschen, die anderen die Menschlichkeit absprechen, zu vermindertem Altruismus und erhöhter Gewaltbereitschaft neigen. „Ob implizite Mensch-Tier-Stereotypen ähnliche oder andere Verhaltensergebnisse vorhersagen, ist jedoch noch nicht hinreichend geklärt“, so das Forschungsteam. Frühere Studien hatten bereits angedeutet, dass die Ergebnisse aus impliziten Assoziationstests wenig Aufschluss über reale Verhaltensweisen geben.
Quelle: Kirsten Morehouse (Harvard University, Cambridge, USA) et al., Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2300995120