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Wohin der Wind ihn blies

Wohin der Wind ihn blies

Als Bibliothekar in Böhmen blickte der alt gewordene Casanova auf sein pralles Leben zurück. Der Ex-Abenteurer schrieb und grantelte – und verfasste ein Stück Weltliteratur.

Der große Verführer war ein grantiger Greis geworden. Die letzten 13 Jahre seines Lebens, bis zu seinem Tod vor genau 225 Jahren, verbrachte der schon zu Lebzeiten berühmte Abenteurer Giacomo Casanova auf Schloss Dux in Böhmen (heute Duchcov im Nordwesten Tschechiens). Es gefiel ihm nicht an diesem Ort abseits der Metropolen, in denen er in seiner Jugend geglänzt hatte. Doch war ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich hier niederzulassen. Im Sommer 1785, kurz zuvor war er 60 geworden, hatte der Venezianer nach einigem Zögern das Angebot des Grafen Joseph Karl Emanuel von Waldstein (1755–1814) angenommen und die Stelle als Bibliothekar auf dessen Schloss angetreten.

Noch ein Jahr zuvor hatte er das Angebot des Grafen verschmäht. Als ausgesprochener Stadtmensch, zu der Zeit wohnhaft in der Hauptstadt des Habsburgerreichs, erschien ihm das Landleben wenig erstrebenswert. Dann aber starb sein Arbeitgeber, der venezianische Gesandte in Wien. Waldstein erneuerte sein Angebot, Casanova willigte ein und begab sich nach Böhmen.

So fand sich der Kosmopolit plötzlich auf dem Lande wieder – und es sah ganz danach aus, als würde er von dort auch nicht mehr wegkommen. »Die Welt ist kein ausgedehntes Königreich mehr, das es zu erobern gilt, allseits verlockend und offen«, schreibt die französische Historikerin Suzanne Roth in ihrem Buch »Les aventuriers au XVIIIe siècle«. »Sie schrumpft ihm unter den Schritten zusammen, und wenn er nicht Acht gibt, wird es bald gar keinen Platz mehr für ihn geben.«

Zu viele Brücken hatte er hinter sich abgerissen. Aus Venedig, wo er am 2. April 1725 auf die Welt kam, war er zum zweiten Mal verbannt worden, nachdem er 1782 ein bissiges Pamphlet gegen eine einflussreiche Patrizierfamilie veröffentlicht hatte. Auch in Frankreich, wo er einige seiner besten Jahre verbracht hatte, war er nicht mehr willkommen. Ebenso wenig in Spanien oder England, aber daran hatte er sowieso nur schlechte Erinnerungen. Zudem war er alt geworden – und wohl auch müde.

Der Mann, der in seinen Memoiren freimütig bekennt, er habe sich stets treiben lassen, »wohin der Wind blies«, war im Lauf seines Lebens an die 70 000 Kilometer kreuz und quer über den europäischen Kontinent gezogen – zu Fuß, zu Pferd und meist in rumpelnden Kutschen auf tückischen Straßen. Doch bereits im September 1782, kurz nachdem er aus Venedig vertrieben worden war, klagte er einem Freund brieflich sein Leid: »Ich bin jetzt achtundfünfzig Jahre alt, ich kann nicht zu Fuß gehen; der Winter steht vor der Tür, und wenn ich daran denke, wieder ein Abenteurer zu werden, so muss ich lachen, wenn ich in den Spiegel sehe.«

Memoiren
© ARCHIV / DPA / PICTURE ALLIANCE (AUSSCHNITT) Memoiren | Bis an sein Lebensende feilte Casanova an seinen Lebenserinnerungen. Doch erst ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod wurden sie herausgegeben. Das Original befindet sich heute in der Pariser Nationalbibliothek.

Der Abenteurer träumte vom Gelehrtendasein

Da erschien dem Literaten Casanova die Aussicht, die Büchersammlung eines Aristokraten zu betreuen, nicht die schlechteste. Gut 20 Jahre zuvor hatte er in »vollkommenem Frieden« acht glückselige Tage in der berühmten Bibliothek von Wolfenbüttel verbracht, wo er an der Übersetzung von Homers »Ilias« ins Italienische arbeitete. »Heute weiß ich, dass nur das Zusammentreffen ganz unbedeutender Umstände nötig gewesen wäre, um mich in dieser Welt zu einem wahrhaft Weisen zu machen«, berichtet er in seinen Memoiren.

Dazu kam es dann doch nicht. In Dux aber hatte Casanova »eine ganze Bibliothek für sich allein«, so der französische Schriftsteller Félicien Marceau (1913–2012) in seiner Biografie des Venezianers. Mit rund 40 000 Bänden war sie durchaus ansehnlich. Sein ersehntes Gelehrtendasein war zudem mit gewissen Vorzügen verbunden: Im nur wenige Kilometer entfernten Kurort Teplitz (Teplice) konnte er zumindest während der wärmeren Jahreszeit auf vornehme Gesellschaft hoffen. Vergnügungen und Abwechslung boten auch Dresden, Leipzig oder Prag, wo er sogar hochbetagt noch mit der Prominenz der Zeit zusammentraf.

Außerdem bekam er ein Jahresgehalt von 450 Gulden, lebte, zeitweise mit eigenem Koch, bei freier Kost und Logis, konnte über die Wagen und Kutscher seines Dienstherrn verfügen, und wenn der Graf sich in Dux aufhielt, fanden Jagden statt, gab es Abendgesellschaften, kamen und gingen zahlreiche Gäste. »Unglücklicherweise ist Waldstein, offenbar kein übertriebener Liebhaber des Landlebens, häufig abwesend«, schreibt Marceau.

Wenn er doch nur nicht von solchem Personal umgeben wäre! Das Verhältnis zwischen den Angestellten des Grafen und ihrem berühmten Mitbewohner gestaltete sich von Anfang an schwierig. Man missgönnte dem Bibliothekar seine privilegierte Stellung, verachtete seine aus der Zeit gefallenen höfischen Manieren. Dieser wiederum behandelte die Diener von oben herab, schimpfte sie Spitzbuben und Jakobiner. »Kein Tag verging ohne Streit über seinen Kaffee, seine Milch oder den Teller Makkaroni, nach dem er verlangte«, listete der Diplomat und Schriftsteller Fürst Charles-Joseph de Ligne (1735–1814) einige der Widrigkeiten aus dem vielfältigen Ungemach auf, dem sich Casanova tagein, tagaus ausgesetzt sah. »Der Koch hatte ihm keine Polenta serviert. Der Stallknecht hatte ihm, als er mich besuchen wollte, einen miserablen Kutscher gegeben, Hunde hatten in der Nacht gebellt. Der Priester hatte ihn mit Bekehrungsversuchen belästigt. Die Suppe war absichtlich zu heiß serviert worden, und ein Diener ließ ihn auf ein Getränk warten.«

Casanova, der einst auf dem gesellschaftlichen Parkett geglänzt, der mit der Pompadour parliert und mit Voltaire disputiert hatte, dem auch der König von Preußen sowie die Zarin von Russland ihr Ohr geliehen hatten, musste sich mit Dienstboten, Stallburschen und Landgeistlichen plagen. Besonders in den Wintermonaten, wenn sich weder Graf Waldstein noch je ein Besucher auf dem Schloss blicken ließen, war das Leben in Dux für ihn »von nahezu unerträglicher Langeweile und von wachsender Traurigkeit über das unaufhaltsam heranschleichende Alter ausgefüllt«, wie es sein Biograf J. Rives Childs (1893–1987) ausdrückte.

Casanova war produktiv wie nie

Aus dem »grausamen« Provinzalltag flüchtete sich Casanova in die Arbeit – und schrieb wie besessen bis zu 13 Stunden am Tag oder länger. Er hatte schon früher viel geschrieben und auch publiziert. Jedoch war er nie zuvor derart produktiv gewesen. Jetzt folgte ein Buch dem anderen. 1786 veröffentlichte er in Prag »Soliloque d’un penseur« (Selbstgespräch eines Denkers), pikanterweise eine Polemik gegen Abenteurer im Allgemeinen und den erst kurz zuvor aufgeflogenen Scharlatan Alessandro Cagliostro (1743–1795) im Besonderen. Im Jahr darauf kam das in Leipzig publizierte Büchlein »Histoire de ma fuite des prisons de la République de Venise qu’on appelle les Plombs« (Geschichte meiner Flucht aus den Gefängnissen der Republik von Venedig, die man die Bleikammern nennt) in den Handel. Davon erhoffte er sich viel.

Schloss Dux
© TOPFOTO / PICTURE ALLIANCE (AUSSCHNITT) Schloss Dux | Das Schloss des Grafen Waldstein, hier die Gartenansicht, mochte in der böhmischen Provinz liegen, doch es beherbergte eine Reihe illustrer Gäste: Außer Casanova stiegen hier Goethe, Schiller, Chopin und Beethoven ab, im Jahr 1813 dann sogar die Monarchen Österreichs, Preußens und Russlands.

Drei Jahrzehnte zuvor hatte ihn sein abenteuerliches Entweichen aus dem Gefängnis der venezianischen Staatsinquisition, einem der ausbruchsichersten seiner Zeit, auf einen Schlag in ganz Europa berühmt gemacht. Wohin er danach auch kam, wurde der Reisende bedrängt, die Geschichte seiner Flucht zu erzählen – er kam den Bitten gerne nach, auch Jahre später noch, an Fürstenhöfen und in Gaststätten, in Salons wie in Boudoirs, am Kartentisch und im Kaffeehaus. Alle zeitgenössischen Berichte stimmen darin überein, dass Casanova ein brillanter Erzähler war. Als er 1774 nach 18 Jahren im Exil endlich wieder in seine Heimatstadt durfte, luden ihn auch die gestrengen Inquisitoren zum Essen ein, um die Details seines Ausbruchs von ihm selbst zu erfahren.

Im Juli 1755 hatten sie den damals 30-Jährigen verhaften und in die berüchtigten Bleikammern werfen lassen, jene Mansarden des Dogenpalastes, unter deren bleigedeckten Dächern es nahezu unerträglich heiß werden konnte. Wie Casanova-Kenner Childs in den 1970er Jahren herausarbeitete, hatten Venedigs Spitzel den jungen Casanova als Mann hingestellt, »der sich an leichtgläubige Personen heranmacht und gewohnheitsmäßig auf Kosten anderer lebt, der auch die Verbindung zu lasterhaften Menschen sucht und sie in ihren Ausschweifungen unterstützt«. Ein »Falschspieler«, der Umgang »mit vornehmen jungen Leuten« sowie »vielen Ausländern« habe und dem »es nie an Geld fehlt«. Als Strafmaß wurden fünf Jahre festgesetzt. Casanova erfuhr von Grund und Dauer seiner Haft kaum etwas.

Dass ein Tunichtgut wie er, Sohn einer Schauspielerin und eines Tänzers, allein mit Glück, Charme und Chuzpe Zugang zu den höchsten Kreisen der Lagunenstadt erlangte, war in der streng hierarchisch strukturierten Republik Venedig ohnehin verdächtig. Zudem war er seit 1753 eng mit François-Joachim de Pierre de Bernis (1715–1794) bekannt, dem französischen Gesandten in der Stadt, mit dem er sich sogar zwei Jahre lang eine Geliebte teilte, eine Nonne aus dem Kloster Santa Maria degli Angeli auf der Insel Murano. Ein Umstand, der den Spionen erstaunlicherweise entging.

So fesselnd er sein Leben lang von der Flucht erzählt haben mag – das Buch darüber verkaufte sich ebenso so schlecht wie das »Selbstgespräch«. Der 1788 in Prag publizierte fünfbändige utopische Roman »Icosaméron ou Histoire d’Edouard et d’Elisabeth« geriet zu einem finanziellen Fiasko, das Casanova Schulden in Höhe von rund 2000 Gulden einbrachte. Waldstein beglich sie großzügig. Der betagte Abenteurer ließ sich indes nicht beirren und schrieb weiter. Allein 1790 veröffentlichte er drei mathematische Abhandlungen über das geometrische Problem der »Verdopplung des Würfels«. Zahlreiche Schriften unter anderem zu Fragen der Religion und Philosophie oder Polemiken gegen die Französische Revolution blieben als Manuskripte erhalten und liegen inzwischen sogar vollständig transkribiert im »Duxionnaire« der Universität Lüttich vor.

Ein Leben füllt 1800 Seiten

Gelesen werden all diese Abhandlungen heute fast ausschließlich von Casanovisten, wie man die Erforscher von Leben und Werk des Venezianers nennt. Ganz anders steht es um Casanovas Hauptwerk, seine Memoiren. Spätestens 1790 begann er mit der Niederschrift der Lebenserinnerungen – auf Französisch, weil es »weiter verbreitet ist als meine Muttersprache«. Zweifellos erhoffte er sich eine große Leserschaft für »Die Geschichte meines Lebens«. Wenn ihr Autor guter Stimmung war, zeigte er sich sogar zuversichtlich, das Werk würde »vielleicht in sämtliche Sprachen übersetzt werden«. Damit behielt er weitgehend Recht: »Die Geschichte meines Lebens« wurde tatsächlich in viele Sprachen übersetzt und zählt heute zur Weltliteratur.

Goldene Jugend
© TOPFOTO / PICTURE ALLIANCE (AUSSCHNITT) Goldene Jugend | Das Gemälde von Anton Raphael Mengs wird häufig als Abbildung des jungen Casanova gedeutet. Mit 30 Jahren hatte ihn sein verdächtig schneller Aufstieg in der venezianischen Gesellschaft hinter Gitter gebracht.

Beinahe bis an sein Lebensende überarbeitete Casanova die Memoiren wieder und wieder, ohne zu einem Abschluss zu kommen. Das Manuskript vertraute er schließlich Carlo Angiolini an, dem Schwiegersohn seiner Schwester Maria, der ihm während seiner letzten Tage zur Seite stand. Der nahm es nach der Beisetzung Casanovas mit nach Dresden, wo er lebte, um es dort, wie es scheint, erst einmal zu vergessen. Erst 22 Jahre später, nämlich 1820, verkaufte Angiolinis Sohn, Carlo junior (1792–1836), die rund 1800 eng beschriebenen Doppelseiten für 200 Taler an den Leipziger Verleger Friedrich Arnold Brockhaus (1772–1823). Zwischen 1822 und 1828 erschien eine verstümmelte Erstausgabe. Der Verleger habe dem Übersetzer freie Hand gegeben, »alle Stellen, die den deutschen Lesern der Zeit als anstößig erscheinen konnten, kurzerhand auszulassen«, notierte Erich Loos (1913–2006), der Herausgeber der ersten tatsächlich vollständigen Ausgabe.

Als diese in den 1960er Jahren erschien, war der Name ihres Autors längst zum Synonym für einen Verführer und Frauenhelden geworden, hatte man über ihn Novellen geschrieben, Operetten komponiert, Filme gedreht und Varietés nach ihm benannt. Alle inspiriert von den Liebesabenteuern Casanovas, auf die sich die unvollständigen Ausgaben der Memoiren meist beschränkten. Und gewiss nehmen die Affären des Mannes auch im Manuskript seiner Erinnerungen rund ein Drittel des Gesamttextes ein. Und doch sind die Memoiren weit mehr als ausschließlich erotische Literatur.

Denn spätestens mit der Veröffentlichung ihrer vollständigen Ausgabe war auch klar, welch außergewöhnliche Quelle für die Kulturgeschichte seiner Epoche dieses Werk darstellt. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts hatte es noch vereinzelte Zweifel an der Authentizität der Lebenserinnerungen gegeben. Doch zahlreiche Casanovisten konnten diese zwischenzeitlich ausräumen. Seine kulturhistorische Bedeutung verdankt das Werk – abgesehen von seiner literarischen Qualität – dem intimen Einblick, den es in den Alltag der Menschen in den Jahrzehnten vor der Französischen Revolution gewährt.

Sein Autor bewegte sich in allen Schichten und fast allen Ländern Europas, er trat in Spelunken, Bordellen und Casinos ebenso sicher und selbstbewusst auf wie an den Fürstenhöfen des Kontinents, in den Theatern oder literarischen Salons. Und von überall dort berichtete er in den Memoiren. Immer subjektiv und sehr von sich eingenommen und trotzdem oft schonungslos gegen sich selbst. Im Vorübergehen streifte er die täglichen Nöte und Freuden der Armen und Reichen, der Dichter und Diener, der Gauner und Geschäftsleute, berichtete von ihren Sorgen, ihren Freuden, ihren Liebschaften, ihrem Leben und ihrem Sterben.

In der Gunst der blinden Göttin

In der Tristesse des Alltags von Dux war das Schreiben auch eine Art Therapie. »Wenn ich mir die Vergnügen ins Gedächtnis zurückrufe, die ich genossen habe, erlebe ich sie aufs Neue und lache über die Mühsale, die ich ausgestanden habe und nun nicht mehr spüre.« Sehr gerne wird er sich daran erinnert haben, welch glückliche Wendung sein Leben nach der Flucht aus den Bleikammern genommen hatte. Anfang Januar 1757 erreichte er die französische Hauptstadt, fest davon überzeugt, »dass mich mein Glück in der Laufbahn eines Abenteurers erwartete. Und dieser Laufbahn gedachte ich mich in der einzigen Stadt der Welt zu verschreiben, in der die blinde Göttin denen ihre Gunst schenkt, die sich ihr völlig anvertrauen.«

»Ich zog Nutzen aus der Verrücktheit einer Frau, die, wenn nicht von mir, von einem anderen betrogen sein wollte«Casanova über die Marquise d’Urfé

Die Voraussetzungen dafür waren ideal. Sein guter Bekannter de Bernis, als Schützling der Madame de Pompadour (1721–1764) zum Außenminister aufgestiegen, versorgte ihn mit Geld und guten Ratschlägen und öffnete zahlreiche Türen. Innerhalb weniger Monate war der polyglotte Casanova in – gut bezahlten – geheimen Missionen für Frankreich in Holland unterwegs. Außerdem war er an der Gründung der französischen Staatslotterie beteiligt, was ihm zusätzlich sprudelnde Einnahmen bescherte. Kurz: Der zweite Aufenthalt in Paris hatte sehr viel versprechend begonnen. Neben einer »reizenden« Stadtwohnung unterhielt er bald auch ein Landhaus in einem noblen Pariser Vorort.

»Am Abend saß in einer Loge neben mir Casanova, den du ja kennst, er war prächtig herausgeputzt«, schrieb im Januar 1759 eine junge Venezianerin ihrem daheim gebliebenen Geliebten. »Er hat einen Wagen, Lakaien und prunkvolle Kleider. Er hat, ich weiß nicht wodurch, Zugang zu den vornehmsten Pariser Kreisen gefunden. Er erzählt, dass er an der Pariser Lotterie beteiligt ist, und prahlt mit seinem hohen Einkommen. Ich habe aber gehört, dass er von einer sehr reichen alten Dame unterstützt wird.«

Casanova brillierte im Okkulten

Die »alte Dame« gab es wirklich. Es handelte sich um eine gewisse Madame d’Urfé (1705–1775), eine Frau aus höchstem Adel, verwitwet und so reich wie exzentrisch. Jeanne Camus de Pontcarré, Marquise d’Urfé, wie sie mit vollem Namen hieß, war seit ihrer Jugend darauf versessen, ihre alchemistischen Fähigkeiten auszubauen. In ihrem Pariser Privatlabor war sie allerdings zu der Erkenntnis gelangt, nur Männer könnten das »Große Werk« vollenden und mit Elementargeistern verkehren. Daher war es ihr innigster Wunsch, so bald wie nur irgend möglich als Mann wiedergeboren zu werden. In Casanova, den sie 1757 kennen lernte, glaubte die Marquise die Person zu erkennen, die ihr diese Wiedergeburt ermöglichen würde. Er ließ sie in dem Glauben.

Zunächst ohne einen echten Plan »bediente Casanova mit allen Mitteln, die seiner blühenden Fantasie zu Gebote standen, die Wahnideen der Marquise d’Urfé«, schreibt der Kulturjournalist Eckart Kleßmann in seiner Biografie des Venezianers. Fast sieben Jahre lang kommunizierte Casanova im Namen der Marquise, der »erhabenen Närrin« und »armen Frau«, wie er sie nannte, mit diversen Elementargeistern und geheimen Rosenkreuzern, schrieb sogar einen Brief an den Mond und empfing – zum Entzücken der Marquise – dessen angebliche Antwort, inszenierte Rituale, schaffte Komplizinnen und Komplizen heran, nur um sie bald darauf auszubooten, wenn sie drohten, ihn auffliegen zu lassen.

Kurzum: »Als eingeschworener Libertin und in das Leben, das ich führte, verliebt, zog ich Nutzen aus der Verrücktheit einer Frau, die, wenn nicht von mir, von einem anderen betrogen sein wollte.« Als sie 1763 frustriert den Glauben an Casanova verlor, hatte er ihr rund eine Million Franc in bar sowie in Form von Gold und Juwelen abgenommen.

Gönner sucht Bibliothekar
© TOPFOTO / PICTURE ALLIANCE (AUSSCHNITT) Gönner sucht Bibliothekar | Das Angebot von Joseph Karl Emanuel von Waldstein lehnte Casanova zunächst ab. Doch schließlich überwog offenbar das Bedürfnis nach Absicherung den Widerwillen gegen die Provinz.

Auch die für ihn wenig schmeichelhaften Vorgänge danach hielt Casanova in seiner böhmischen Schreibstube wahrheitsgetreu fest: Nachdem die Marquise mit ihm gebrochen hatte, brach Casanova im Frühsommer 1763 mehr oder weniger fluchtartig Richtung London auf. Doch dort verließ ihn das Glück. Eine Schauspielerin und Abenteurerin namens Marianne de Charpillon nahm ihn nach Strich und Faden aus, machte ihm Hoffnungen, ließ ihn zappeln, ohne ihm auch nur die geringste Gunst zu gewähren – und leerte seine prall gefüllten Taschen. Wenige Monate später war der betrogene Betrüger so gut wie mittellos und floh wegen drückender Schulden zurück auf das Festland.

Es folgten rastlose Fahrten über den Kontinent, wo ihn altes (ein Neffe der d’Urfé) und neues Ungemach (die sittenstrenge Kaiserin Maria Theresia) traf. Fast scheint es, als hätte der Mann, der sich in den Memoiren brüstet, er habe sich über seine Zukunft »als Philosoph nie Sorgen machen wollen«, mit der Zeit doch Zukunftsängste entwickelt. Die erhoffte Diplomatenkarriere offerierten ihm jedoch weder Friedrich II. (1712–1786), mit dem er im Park von Sanssouci lustwandelte, noch Katharina die Große (1729–1786), die ihn in Sankt Petersburg gleich dreimal empfing.

Schließlich blies ihn der Wind nach Dux – und bis zuletzt hoffte Casanova, dort wieder wegzukommen. Am 7. September 1795 notierte Charles-Joseph Clary-Aldringen (1777–1831), ein Enkel des Fürsten de Ligne und jugendlicher Freund Casanovas, in sein Tagebuch, der Venezianer habe ernsthaft beschlossen, Dux zu verlassen – wegen all des Ärgers, den er in den vergangenen zehn Jahren dort hatte erleiden müssen, vor allem aber wegen der »täglichen Demütigungen«, die der Graf, seines Gastes offenbar überdrüssig geworden, ihm angedeihen ließ. »Von Zeit zu Zeit wirft er ihm sogar die Kosten vor, die sein Aufenthalt verursacht, und die sind wirklich nicht hoch, nur 400 Gulden jährlich«, schrieb Clary. »Ich werde sehr traurig sein, wenn wir ihn wirklich verlieren (…) Waldstein wird es auch sehr leidtun, nicht Casanovas, sondern seiner selbst wegen, denn es schmeichelt seiner Eitelkeit, einen so berühmten und außergewöhnlichen Mann wie Casanova bei sich zu haben.«

So weit kam es nicht. Giacomo Casanova, der so oft in seinem Leben abgereist war, wenn es ungemütlich wurde, blieb mangels Alternative in Dux, wo er am 4. Juni 1798 im Alter von 73 Jahren starb.