Vorgänge im Gehirn beim Merken von Bildern entschlüsselt
Neuronale Zusammenhänge: Wie gut unser Gedächtnis für Bilder funktioniert, lässt sich an unserem Gehirn ablesen – zumindest statistisch, wie Forschende in einer großangelegten Studie herausgefunden haben. Demnach unterscheidet sich die Aktivität in bestimmten Hirnarealen, aber auch von ganzen Netzwerken bei Menschen mit gutem und schlechtem visuellen Gedächtnis. Die Ergebnisse geben neue Einblicke, wie unser Gedächtnis funktioniert und von welchen Faktoren dies abhängt.
Unser Gedächtnis ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich leistungsfähig. Aus früheren Studien ist bekannt, dass an Merkprozessen wie dem bewussten Speichern und Abrufen von Informationen verschiedene Hirnregionen beteiligt sind. Ob diese Regionen dabei andere Aktivitäten aufweisen, wenn ein Mensch ein gutes oder aber ein schwächeres Gedächtnis hat, war bisher jedoch unklar.
Groß angelegte Gedächtnisstudie
Ein Forschungsteam um Léonie Geissmann von der Universität Basel ist dieser Frage nun nachgegangen. An der Studie nahmen 1.498 Probandinnen und Probanden zwischen 18 und 35 Jahren teil. Damit handelt es sich nach Angaben der Forschenden um die weltweit größte funktionelle Bildgebungsstudie zum sogenannten episodischen Gedächtnis, das das bewusste Erinnern von zuvor Erlebtem umfasst.
Die Teilnehmenden schauten sich in der Studie jeweils 72 Bilder an und merkten sie sich, während die Forschenden mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI) ihre Hirnaktivität aufnahmen. Anschließend sollten die Testpersonen so viele der präsentierten Bilder wie möglich aus dem Gedächtnis abrufen und aufschreiben, was sie gesehen haben.
Nicht alle Gedächtnis-Regionen sind beim Merken aktiv
Dabei zeigten sich wie erwartet große Unterschiede in der Gedächtnisleistung der Probandinnen und Probanden. Die Teilnehmenden erinnerten sich an fünf bis 55 der 72 zuvor gezeigten Bilder. Darüber hinaus zeigte sich ein direkter Zusammenhang zwischen der Aktivität einiger Hirnareale beim Abspeichern und der späteren Gedächtnisleistung der Testpersonen: Bei Menschen mit besseren Merkfähigkeiten waren diese Hirnareale schon beim Speichern der Informationen aktiver als bei Menschen mit schlechterem Gedächtnis.
Zu diesen Hirnregionen zählten der Hippocampus, der orbitofrontale Cortex, der obere Frontalcortex und der hintere cinguläre Cortex. Von diesen Regionen ist bekannt, dass sie an der Gedächtnisbildung oder Lernprozessen beteiligt sind. Bei anderen nachweislich gedächtnisrelevanten Hirnbereichen in der hinteren Hirnrinde, insbesondere dem lateralen Okzipitalcortex, zeigte sich indes kein solcher Zusammenhang: Diese Areale waren bei Personen mit besserem und schwächerem visuellen Gedächtnis gleichermaßen aktiv.
Auch Netzwerke am Gedächtnis beteiligt
Wie gut unser visuelles Gedächtnis ist, hängt aber auch von der Aktivität ganzer Netzwerke ab, wie Geissmann und ihr Team feststellten. Sie identifizierten neun funktionelle Netzwerke im Gehirn der Probanden, die mit der Leistung ihres episodischen Gedächtnisses verknüpft waren. Die Forschenden beobachteten, dass diese mehrere Hirnregionen verbindenden Aktivitätsmuster teilweise einigen bereits bekannten Netzwerken ähneln, unter anderem dem Kleinhirnnetzwerk, dem sensomotorischen Netzwerk und dem auditorischen Netzwerk, sich aber auch von diesen unterscheiden.
Bei acht der neun neu identifizierten Netzwerke war deren Aktivität mit einem guten Gedächtnis der Studienteilnehmer verbunden, bei einem der Netzwerke mit einem schlechteren Erinnerungsvermögen. Die acht „positiven“ Netzwerke umfassen laut der Studie Hirnregionen, die bekanntermaßen unter anderem für Verarbeitungs- und Gedächtnisprozesse wie das visuelle Arbeitsgedächtnis, das gegenständliche Gedächtnis und die bewusste Darstellung von Erinnerungen zuständig sind, aber auch für andere Funktionen wie Emotion, Aufmerksamkeit und Entscheidungsfindung.
Das neunte, „negative“ Netzwerk umfasst Hirnareale, die vor allem für sensorisch-motorische und sensorisch-auditive Aufgaben zuständig sind. Die Forschenden vermuten daher, dass das Verarbeiten von Geräuschen das Merken von Bildern erschweren könnte.
Besseres Verständnis von Gedächtnis und Lernprozessen
„Die Erkenntnisse helfen uns, besser zu verstehen, wie es zu den Unterschieden in der Gedächtnisleistung zwischen Menschen kommt“, sagt Geissmann. Die Hirnsignale einer einzelnen Person würden aber noch keine Rückschlüsse auf deren Gedächtnisleistung zulassen, dafür müssten weitere Forschungsarbeiten folgen. Mithilfe der bereits gewonnenen Daten könnten dann möglicherweise auch biologische Merkmale, zum Beispiel genetische Marker, identifiziert werden, die mit den Hirnsignalen beim Merkprozess in Verbindung stehen, so die Forschenden.
Die aktuelle Studie ist Teil eines großen Forschungsprojekts. Dessen Ergebnisse sollen ein tieferes Verständnis von Gedächtnisprozessen generieren und langfristig in klinische Anwendungen überführt werden. (Nature Communications, 2023; doi: 10.1038/s41467-023-41380-w)
Quelle: Universität Basel