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Warum Krebs oft Metastasen in der Wirbelsäule bildet

Warum Krebs oft Metastasen in der Wirbelsäule bildet

Neuer Stammzelltyp für Wirbelknochen entdeckt

Günstige Bedingungen für Metastasen: Forschende haben herausgefunden, warum streuende Krebstumore besonders oft Metastasen in der Wirbelsäule bilden. Ursache dafür ist demnach, dass sich die Knochen der Wirbelsäule aus einem besonderen Typ Stammzellen entwickeln. Diese sondern ein Protein ab, das die Ansiedlung von Metastasen begünstigt. Die Entdeckung könnte langfristig zu neuen Therapien bei Krebs und anderen Erkrankungen der Wirbelsäule führen.

Mediziner beobachten bei Krebspatienten regelmäßig, dass Tumore eher dazu neigen, Metastasen in Wirbelknochen zu bilden als in den langen Röhrenknochen des Skeletts, wie sie zum Beispiel in Armen und Beinen vorkommen. Besonders häufig wird diese „spinaler Tropismus“ genannte Tendenz bei Patienten mit Brust-, Prostata- und Lungenkrebs beobachtet.

Warum das so ist, war bislang unklar. Einer Theorie aus den 1940er Jahren zufolge könnten sich Metastasen häufiger in der Wirbelsäule bilden, weil der Blutfluss sie dort leichter hinbringt als zu anderen Knochen. Tierversuche widerlegten diese Theorie jedoch.

Ein Forschungsteam um Jun Sun von der Cornell University in New York hat nun einen anderen Ansatz verfolgt. Anstoß dafür gab die Feststellung, dass verschiedene Knochentypen von unterschiedlichen Arten von Knochenstammzellen abstammen, wie Wissenschaftler in den letzten Jahren herausfanden. Das Team um Sun vermutete daher, dass sich die Wirbelsäule und andere Knochen in ihrem Aufbau und ihrer Attraktivität für Krebszellen unterscheiden könnten.

 

Aufbau der Wirbelknochen an Organoiden erforscht

Um dies zu überprüfen, verwendeten Sun und seine Kollegen in ihren Experimenten neben klassischen Tierversuchen an Mäusen und verschiedenen Zellkulturen auch knochenähnliche Organoide. Das sind dreidimensionale komplexe Zellkulturen, die im Labor aus knochenbildenden Stammzellen gezüchtet werden. Sie bilden den Aufbau von echten Knochen nach. Das Prinzip ähnelt dem „Tissue Engineering“, bei dem aus verschiedenen Stammzellen verschiedene Gewebe gezüchtet werden.

Die Forschenden isolierten zunächst eine Mischung verschiedener Knochenstammzellen aus Mäusen. Anschließend untersuchten sie im Labor, welche Gene in den Zellen aktiv sind und welche Oberflächenmarker sie ausbilden. Basierend darauf unterteilten sie die Stammzellen in verschiedene Gruppen. Durch ergänzende Tests, welche Knochen sich in Mäusen aus den jeweiligen Stammzelltypen bilden, identifizierte das Team um Sun die speziellen wirbelbildenden Stammzellen. Schließlich injizierte das Team Brustkrebszellen in Mäuse und untersuchte, wo sich diese ansiedelten.

 

Wirbelbildende Stammzellen haben eine Besonderheit

Das Ergebnis: Die Stammzellen, aus denen sich Wirbel bilden, unterscheiden sich tatsächlich von anderen knochenbildenden Stammzellen. Sie lesen andere Gene ab, insbesondere für die Transkriptionsfaktoren ZIC1 und PAX1, die wiederum weitere Gene regulieren. Dadurch hat der neu entdeckte Stammzelltyp eine besondere Eigenschaft: Die Zellen sondern mehr des Proteins namens MFGE8 ab.

Außerdem fanden die Wissenschaftler wie erwartet eine Metastasenbildung insbesondere in der Wirbelsäule von Mäusen, seltener in Röhrenknochen. „Wir beobachteten, dass sich die ersten metastatischen Tumorzellen vor allem in einem Bereich des Knochenmarks ansiedelten, in dem sich auch die Stammzellen der Wirbelsäule und ihre Nachkommen befinden“, berichtet Sun. Zudem stellte das Team fest, dass sich in Modellen, aus denen die Wirbelstammzellen entfernt wurden, gleichermaßen Metastasen in Wirbelsäulen- und Röhrenknochen ausbildeten.

 

Zellen der Wirbelsäule erleichtern Ansiedlung von Metastasen

Die Forschenden schließen daraus, dass die Wirbelsäule für streuende Krebszellen tatsächlich attraktiver ist als andere Knochen. Denn die spezifischen Stammzellen des Rückgrats erzeugen Proteine, die den Krebszellen offenbar günstige Bedingungen bieten. Den Analysen zufolge fördert dabei vor allem das Protein MFGE8 die Einwanderung von Krebszellen und ist dadurch maßgeblich dafür verantwortlich, dass Tumore so häufig Metastasen in Wirbelknochen bilden.

In einer Kooperation mit Forschenden des New Yorker „Hospital for Special Surgery“ gelang es dem Team um Sun zudem, ihre Laborergebnisse aus Modellen mit Stammzellen von Mäusen an Organoiden aus den entsprechenden menschlichen Stammzellen zu bestätigen.

Befund öffnet Tür für neue Therapieansätze
Sun und seine Kollegen suchen nun nach Methoden, um das Protein MFGE8 zu hemmen. Sie hoffen, dass ein solcher Inhibitor die Metastasenbildung in der Wirbelsäule von Krebspatienten verhindern kann. Darüber hinaus wollen sie erforschen, ob MFGE8 neben der Migration auch das Wachstum der Tumorzellen fördert und welche Funktionen das Protein in gesunden Menschen erfüllt.

Weitere Studien sollen außerdem klären, ob die besonderen Eigenschaften der Wirbelstammzellen auch Auswirkungen auf andere Erkrankungen der Wirbelsäule haben, insbesondere bei orthopädischen Leiden wie Wirbelbrüchen. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-06519-1)

Quelle: Weill Cornell Medicine