Arsen, gebrannter Kalk und Katzenkot – Frauen nutzten einst teils schmerzhafte Rezepte, um unliebsames Körperhaar loszuwerden. Doch erst vor 100 Jahren wurde blanke Haut zum Massentrend.
Es war eine zutiefst verzweifelte Frau, die der 32-jährige Dermatologe Paul Esnard Bechet 1913 in seiner New Yorker Praxis empfing. Die Patientin habe »eine sehr lukrative Stelle aufgegeben, mied all ihre Bekannten, ging nur noch tief verschleiert aus dem Haus und glitt allmählich in eine schwere Depression«. Bechet berichtete dies in einem Beitrag über »Ätiologie und Behandlung der Hypertrichose«, den er für ein New Yorker Fachblatt verfasste. Unter Hypertrichose verstand die medizinische Wissenschaft seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Körperbehaarung an Stellen, wo sie geläufigen Schönheitsidealen zufolge nichts zu suchen hatte. Und genau das war das Problem der Dame, die ihren Kummer in Bechets Praxis getragen hatte.
Sie war nicht die Einzige. Die medizinische Fachliteratur des frühen 20. Jahrhunderts ist voller Falldarstellungen, die von vergleichbaren Leidensgeschichten handeln. Ein Kollege Bechets beschrieb 1912 Betroffene als »verbittert, melancholisch und von Ärger zerfressen«. Oftmals hätten Patientinnen ihm versichert, »dass der Tod dem Leben voller Peinlichkeit, wie sie es führen müssten, vorzuziehen wäre«. Das »Journal of the American Medical Association« druckte 1937 die Zuschrift einer 26-jährigen Leserin aus Pittsburgh ab: »Die Leute sagen mir, ich sei hübsch. Aber neuerdings ist auf meinem ganzen Gesicht starker Haarwuchs aufgetreten. Das ist mir so unangenehm, dass ich vor jeglichem Kontakt mit Menschen zurückschrecke.«
Die niederländische Kulturhistorikerin Anneke Smelik sieht hier eine »Ideologie rund um den Frauenkörper« am Werk, ein lange in die Geschichte zurückreichendes und fest in den Köpfen verankertes Bild weiblicher Schönheit. Bis 2023 hat Smelik an der Radboud-Universität Nijmegen unter anderem über Mode und Kosmetik gelehrt und geforscht. In der Zeitschrift »Critical Studies in Fashion & Beauty«, zu deren Herausgebern sie zählt, veröffentlichte sie 2015 eine Studie über das »Tabu der weiblichen Körperbehaarung«.
Makellos wie Aphrodite
Das Kriterium der marmorgleich blanken und makellosen Haut stand bereits den Menschen der Antike vor Augen, als im 4. Jahrhundert v. Chr. der attische Bildhauer Praxiteles die Figur der Aphrodite von Knidos schuf, die unter ihrer die Vulva nur halb verdeckenden Hand keine Spur von Schamhaar zu erkennen gibt.
Smelik vermutet hinter dem Idealbild weiblicher Haarlosigkeit auch ein Bedürfnis, den Unterschied zum männlichen Körper »größer zu machen«. Zudem würden Frauen dann jünger und kindlicher aussehen, ihr haarloser Körper entspreche dann mehr »dem zeitgenössischen Schönheitsideal ›für immer jung‹«.
Was früher als ärgerlicher und peinlicher Schönheitsfehler betrachtet wurde, sei heute ein veritables Tabu
Dabei sei die massenhafte Verbreitung von Enthaarungspraktiken ein historisch neues Phänomen: »In der Moderne um 1900 beginnt dieser Umschlag in den USA, in Europa noch später«, sagt Smelik. In ihrer Studie zitiert sie Umfragen aus verschiedenen westlichen Ländern, denen zufolge mittlerweile zwischen 91 und 99 Prozent der Frauen regelmäßig ihr Körperhaar zumindest teilweise entfernen. In früheren Zeiten, sagt sie, seien die Prozentsätze »minimal« gewesen.
Der Traum der makellosen Haut hat über die Jahrhunderte Seelenqualen erzeugt, vor allem aber auch körperliche Pein. Im Wesentlichen waren es zwei Methoden, die seit frühesten Zeiten angewandt wurden, um unliebsames Haar loszuwerden, beide gesundheitsschädlich oder schmerzhaft. Man konnte eine klebrige Paste – die alten Ägypter mischten Zucker, Zitronensaft und Wasser – auf die Haut streichen, aushärten lassen und mitsamt Behaarung abreißen. Kosmetiksalons bieten derlei heute unter den Stichworten »Waxing« oder »Sugaring« an. Die Alternative bestand darin, eine Mixtur aus aggressiven Substanzen anzurühren, die auf die Haut einwirkte und die Haarwurzeln zersetzte.
Hundeblut, Kalbsurin und Schwalbengalle? Egal, Hauptsache schön!
Unter dem Titel »The byrth of mankynde« (Die Geburt der Menschheit) erschien 1540 in England ein Handbuch, das in den folgenden Jahrhunderten in der englischsprachigen Welt mehrfach neu aufgelegt wurde. Es richtete sich in erster Linie an Hebammen, enthielt aber auch allgemeine Gesundheitshinweise. Darunter ein Rezept, um Haar von Stellen zu entfernen, »wo es unschicklich ist«. Empfohlen wurde, umgerechnet rund 113 Gramm frisch gebrannten Kalk und knapp 30 Gramm Arsen in etwas mehr als einem Liter Wasser zwei Tage lang einweichen zu lassen und dann um die Hälfte einzukochen: »Streiche das auf die Stellen, die du haarlos haben möchtest (…) und nach einer Viertelstunde zupf an den Haaren, und sie werden sich lösen.«
Anschließend müsse man allerdings unbedingt in Wasser eingeweichte Kleie und ein Gemisch aus Eiweiß und Olivenöl auf die behandelte Stelle auftragen, um die Hautverätzung zu lindern. Gebrannter Kalk und giftiges Arsen-Sulfit waren bereits im alten Ägypten die Grundsubstanzen zur Herstellung von Enthaarungsmitteln. Das Rezept wanderte auf dem Weg über die griechische und römische Antike als »rhusma turcorum« in die heilkundliche Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Das seinerzeit berühmte Handbuch der Land- und Hauswirtschaft des Mecklenburger Pfarrers Johann Coler (1566–1639), das allein im 17. Jahrhundert 14 Auflagen erlebte, enthielt 19 Enthaarungsrezepte, manche mit so appetitlichen Ingredienzien wie Hundeblut, Kalbsurin, Schwalbengalle, Katzenkot.
Ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, das berichtet Rebecca Herzig vom Bates College in ihrem Buch »Plucked«, ersetzten allmählich die Produkte eines zusehends prosperierenden Kosmetikgewerbes die bis dahin gängigen, selbst fabrizierten Hausmittelchen. Begleitet von Werbekampagnen, die im Wesentlichen eine Botschaft kannten: Für eine Frau sei nichts Entsetzlicheres denkbar als unpassende Behaarung. »Diese große Entstellung weiblicher Schönheit wird durch dieses perfekt sichere und leicht anzuwendende Mittel wirksam beseitigt«, pries ein Hersteller sein Erzeugnis an. »Überflüssiges Haar ist der größte Makel, den eine Frau aufweisen kann«, barmte ein anderer. Ein dritter versprach sofortige Haarentfernung von Stirn, Oberlippen, Armen und Händen »mit einer einzigen Anwendung und gesichert ohne Schädigung der Haut«.
Teil dieser Reklamestrategie war auch, die Faszination der Kundinnen fürs Exotische, Geheimnisvolle, Entlegene zu bedienen. So behauptete ein Hersteller, sein Produkt beruhe auf einem Rezept, das schon der Königin von Saba zur Schönheitspflege gedient habe. Uralte chinesische Weisheitslehren wurden ebenso ins Feld geführt wie die Reinlichkeits- und Körperpflegekultur der islamischen Welt. Reiseberichte aus dem Orient, die mit schwülstigen Schilderungen der Enthaarungsrituale in türkischen und arabischen Bädern die Fantasie befeuerten, erfreuten sich im 19. Jahrhundert großer Popularität beim westlichen Publikum.
Der Todesbote aus der Körperpflege
Es fehlte andererseits nicht an warnenden Stimmen. Gutgläubige Frauen, empörte sich 1830 die New Yorker Zeitung »The Working Man’s Advocate«, würden eingelullt in der vermeintlichen Gewissheit, ihre Enthaarungspräparate seien harmlos, weil sie unter klangvollen Herkunftsbezeichnungen – orientalisch, italienisch, französisch – auf den Markt kämen. In Wahrheit »begleiten diese Körperpflege-Chemikalien sehr tatkräftig den Todesboten«. So gäbe es kaum ein kosmetisches Produkt, das nicht »ein schädliches und zerstörerisches Gift« wäre.
Das in Philadelphia erscheinende »Journal of Health« mahnte im Januar 1831: »Unter allen Umständen glauben wir, dass es weit besser ist, sich mit dem Schönheitsfehler des überflüssigen Haars abzufinden als durch den Versuch seiner Beseitigung Gefahr zu laufen, sich ein noch größeres Übel zuzuziehen.« In dieselbe Kerbe hieb einige Monate später die Frauenzeitschrift »Lady’s Book«. Vor allem von Präparaten auf Arsenbasis drohe »das größtmögliche Risiko für die Gesundheit, wenn nicht sogar für das Leben«. Die aggressiven Substanzen in gängigen Enthaarungsmitteln könnten erhebliche Verletzungen der Haut verursachen, die am Ende »noch unansehnlicher« seien »als die Defekte, zu deren Behebung sie eingesetzt werden«.
Dass die Warnungen offenkundig in den Wind gesprochen waren, bezeugte gut acht Jahrzehnte später eine Leserin der »Chicago Tribune«. Sie beklagte im November 1915 die massiven Schädigungen, die ein Enthaarungsmittel auf ihrer Haut hinterlassen hatte: »Dieses Unheil, das meinem Gesicht und meinen Armen angetan wurde, wird für immer bleiben. Ich wünschte, ich könnte einschlafen und nie mehr aufwachen.«
Als dieser Leserbrief erschien, hatte in den USA längst eine Entwicklung eingesetzt, die in der Zwischenkriegszeit auch auf Europa übergreifen sollte und in deren Folge die Praxis, weibliches Körperhaar zu entfernen, von der Ausnahme zur Regel wurde. Eine Tendenz, die sich im Anzeigenaufkommen des Modemagazins »Harper’s Bazaar« spiegelte: Zwischen 1915 und 1919 verfünffachte sich hier das Reklamevolumen für Enthaarungsmittel.
Mehr unbekleidete Haut, mehr Körperhaar musste verschwinden
Smelik sieht einen Zusammenhang mit dem Wandel der Mode, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts luftiger und freizügiger geworden sei. Seit jeher betraf das Verdikt gegen »überflüssige« Behaarung die sichtbaren Körperpartien. Lange Zeit beschränkte es sich auf Stirn, Schläfen, Oberlippe, Nacken. In dem Maße, in dem eine veränderte Mode mehr weibliche Haut frei legte, kürzere Röcke, ärmellose Kleider aufkamen, wuchs auch der Säuberungsdrang. Jetzt gerieten Achselhaare ins Visier, wurden Beine und Arme bearbeitet.
Mittlerweile hat sich nach Smeliks Beobachtung der Kampf gegen weibliches Körperhaar weiter verschärft. Was früher als ärgerlicher und peinlicher Schönheitsfehler betrachtet wurde, sei heute ein veritables Tabu. Seit Beginn dieses Jahrhunderts habe in der westlichen Welt ein regelrechter Enthaarungsfuror eingesetzt, gekennzeichnet durch die inzwischen fast hundertprozentige Beteiligung der weiblichen Bevölkerung, nicht zuletzt aber auch durch die immer weiter um sich greifende Praxis der Intimrasur: »Es ist eigentlich schockierend, dass jetzt auch das Geschlechtsorgan haarlos sein muss.«
Smelik sieht hier Urängste gespiegelt vor einer erwachsenen weiblichen Sexualität, mit der die Schambehaarung untrennbar verbunden sei. Sie zu beseitigen, symbolisiert in ihren Augen den Wunsch, dass Frauen kindlicher und jünger erscheinen. Hinzu komme ein Zeitgeist, der in jedem Bereich auf Machbarkeit und Kontrolle setze, also auch darauf, Körper zu perfektionieren, zu gestalten und nach einem Idealbild formen zu können. Sie sehe da, meint Smelik, derzeit »keine Zurück-zur-Natur-Bewegung«.