Kleiderläuse entpuppen sich als überraschend effektive Pest-Überträger
Unterschätzte Parasiten: Bei den großen Pest-Epidemien des Mittelalters könnten nicht Flöhe, sondern Kleiderläuse die Hauptüberträger gewesen sein. Denn diese blutsaugenden Insekten sind überraschend gute Überträger des Pesterregers – sogar besser als Flöhe, wie eine Studie enthüllt. Das Pestbakterium Yersinia pestis reichert sich dabei nicht nur im Darm der Läuse an, sondern infiziert auch die Sekretdrüsen, die deren Saugrüssel schmieren. Entsprechend viele Erreger geben die Läuse bei ihrer Blutmahlzeit ab.
Ob in der Steinzeit, der Antike oder beim „Schwarzen Tod“ im Mittelalter: Die Pest hat immer wieder fatale Seuchen ausgelöst – im Mittelalter starb sogar ein Drittel der europäischen Bevölkerung daran. Der Pesterreger, das Bakterium Yersinia pestis, stammte ursprünglich aus Asien und wurde mehrfach über den Seehandel und die Seidenstraße nach Europa eingeschleppt. Dort angekommen, wurden Ratten und ihre Flöhe zu den Hauptüberträgern der Seuche – so jedenfalls dachte man bisher.
Allerdings weckte bereits 2018 eine Studie Zweifel an diesem Szenario. Denn Modelle der Pestausbreitung bei vergangenen Ausbrüchen legten nahe, dass die Ratten zumindest beim „Schwarzen Tod“ des Mittelalters nur eine geringe Rolle spielten. Stattdessen wurde der Pesterreger meist direkt durch blutsaugende Menschenflöhe und Läuse übertragen, so die Vermutung.
Kleiderlaus als Seuchenhelfer?
Den wahren Schuldigen an der Ausbreitung des „Schwarzen Todes“ könnten nun David Bland und seine Kollegen vom US National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) in Montana gefunden haben: die Kleiderlaus (Pediculus humanus humanus). „Diese Laus ist ein obligater Blutsauger mit dem Menschen als einzigen Wirt“, erklärt das Team. Fünf- bis sechsmal am Tag sticht die Laus die Haut an und saugt Blut. Zwar ist der Kleiderlaus-Befall wegen der besseren Hygiene heute eher selten, früher war die „Verlausung“ jedoch Alltag.
Doch trotz ihrer weiten Verbreitung vor allem im Mittelalter galt die Kleiderlaus bisher als eher schlechter Überträger der Pest. Studien lieferten widersprüchliche Ergebnisse dazu, wie viele Erreger sie beim Blutsaugen überträgt und ob sie nicht schon vorher selbst an der Pest stirbt. Deshalb haben Bland und sein Team dies nun genauer untersucht.
Auf zwei Wegen zum nächsten Opfer
Für ihre Studie markierten die Forschenden Pestbakterien mit einem Fluoreszenzfarbstoff und mischten sie mit menschlichem Blut. Dieses Blut saugten dann Kleiderläuse durch eine hautähnliche Membran. Dann wurden die infizierten Läuse in zwei Gruppen geteilt: „Wir entschieden uns, zwei Szenarien zu vergleichen, durch die Menschen während eines Pestausbruchs mit infizierten Läusen in Kontakt kommen“, erklären Bland und seine Kollegen.
Im ersten Szenario wechselt die Kleiderlaus direkt nach dem Blutsaugen auf dem Pestpatienten ihren Wirt – beispielsweise durch direkten Körperkontakt der beiden Menschen. Rund drei Stunden nach ihrer eigenen Infektion erfolgt daher die nächste Blutmahlzeit an einem noch nicht infizierten Opfer – im Versuch war dies ein neuer, pestbakterien-freier Blutbehälter. Im zweiten Szenario bleibt die Laus längere Zeit in Kleidung, Bettzeug und anderen Verstecken verborgen, bevor sie nach einer Fastenperiode von rund 18 Stunden einen neuen Wirt finden kann.
Erfolgreiche Ansteckung
Die Auswertungen enthüllten: Zwar starben 33 bis 46 Prozent der Kleiderläuse nach ihrer Infektion mit der Pest, der Rest jedoch überlebte und entwickelte eine chronische Infektion. „40 bis 60 Prozent dieser Läuse in beiden Gruppen blieben auch eine Woche später noch infiziert“, berichten Bland und sein Team. Beim Blutsaugen übertrugen diese Läuse während der gesamten Zeit mittlere bis hohe Dosen der Pestbakterien auf die Blutreservoire der simulierten Wirte.
„Rund 20 Stunden nach ihrer Infektion hatten die Läuse den Erreger auf 100 Prozent der Reservoire übertragen“, so die Forschenden. Dabei war die Läusegruppe mit Zwangspause sogar effizienter: Sie übertrugen mehr Pesterreger auf den simulierten nächsten Wirt als ihre Artgenossen mit dem unmittelbaren Wirtswechsel. Die Menge der Bakterien war in beiden Gruppen jedoch mehr als ausreichend, um eine Pestansteckung zu bewirken, wie die Wissenschaftler erklären.
Eher Läuse als Flöhe als Hauptschuldige?
„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Kleiderläuse bessere Übertrager von Pestbakterien sind als man zuvor dachte“, konstatieren Bland und seine Kollegen. „Dies stützt die Hypothese, nach der diese Läuse als Vektoren an früheren Pestausbrüchen beteiligt waren.“ Hinzu kommt: Der Kleiderlaus fehlen einige entscheidende Immungene, um eine Infektion mit gram-negativen Bakterien wie Yersinia pestis abzuwehren, so das Team. In der Folge infizieren sie sich leicht und begünstigen die Vermehrung des Erregers in ihrem Körper.
„Der Menschenfloh Pulex irritans war zwar während der mittelalterlichen Pestepidemie in den Haushalten weit verbreitet“, erklären die Forschenden. „Aber wir haben die Vektor-Kompetenz des Menschenflohs noch einmal näher untersucht – und ihn als eher schlechten Überträger der Pestbakterien eingestuft.“ Denn anders als zuvor angenommen verstopfen die Pestbakterien nicht den Vormagen des Flohs, was ihn zu übermäßigem Blutsaugen animieren würde.
Kopfdrüse als „Nest“ der Pestbakterien
Eine weitere Überraschung lieferten die Fluoreszenz-Analysen der Läuse: Zwar sammelten sich bei vielen Tieren die Pestbakterien vor allem im Verdauungstrakt. Aber bei einige zeigten sich auch Bakterienanreicherungen im Kopfbereich. „Das war unerwartet, denn wir kannten bisher keine mikrobiellen Infektionen, die Strukturen im Kopf der Läuse befallen“, schreiben Bland und sein Team. Interessanterweise übertrugen die Läuse mit dieser Kopfinfektion sogar mehr Pesterreger als ihre Artgenossen.
Aber warum? Nähere Analysen enthüllten, dass sich die Pestbakterien bei diesen infizierten Läusen in den sogenannten Pawlowsky-Drüsen sammelten. „Diese Drüsen sind über dünne Gänge mit der Kammer verbunden, in der der zurückziehbare Saugrüssel der Tiere sitzt“, erklären die Forschenden. Das Sekret der Drüsen dient wahrscheinlich als Schmiermittel, das die Bewegung des Saugrüssels während der Blutmahlzeit erleichtert. Bei den mit Pest infizierten Läusen führt dies jedoch dazu, dass die Bakterien noch effizienter in den Wirt übertragen werden.
„Wir haben damit herausgefunden, dass Kleiderläuse die Pest nicht nur besser übertragen als gedacht – sie tun dies auch auf mehr als eine Weise“, konstatieren die Forschenden. Die Pestbakterien gelangen sowohl über das Sekret der Pawlowsky-Drüsen als auch über den Speichel und den Kot der Läuse auf und in ihren menschlichen Wirt. (PLoS Biology, 2024; doi: 10.1371/journal.pbio.3002625)
Quelle: PLOS