Einzigartiges Relikt der Kreuzzugs-Ära verbarg sich vor aller Augen in der Grabeskirche
Spektakulärer Fund: In der Grabeskirche in Jerusalem haben Archäologen einen Teil des längst zerstört geglaubten Hochaltars aus der Kreuzritter-Zeit entdeckt. Eine unscheinbare Steinplatte erwies sich beim Umdrehen als kunstvoll verzierte Frontplatte dieses mittelalterlichen Altars. Er wurde 1149 zum 50. Jahrestag der christlichen Eroberung Jerusalems geweiht und bildete jahrhundertelang den Mittelpunkt des bedeutenden christlichen Heiligtums. Auch in Hinblick auf die Ornament-Technik ist die Altarplatte eine Rarität.
Die Stadt Jerusalem ist für gleich drei Weltreligionen ein bedeutendes religiöses Zentrum – und daher entsprechend umkämpft. Ihren Höhepunkt fanden diese Konflikte in den Kreuzzügen. In der Zeit von 1095 bis 1291 zogen hunderttausende Kreuzritter und Fußsoldaten aus Europa mehrfach ins „Heilige Land“, um Jerusalem der arabischen Herrschaft zu entreißen. Dabei kam es vor allem beim ersten Kreuzzug zu blutigen Gemetzeln durch die Kreuzfahrer-Truppen und ihre einheimischen Helfer.
Eine Steinplatte zeigt ihr wahres Gesicht
Jetzt haben Archäologen in Jerusalem ein einzigartiges Relikt aus der Zeit nach dem ersten Kreuzzug entdeckt – durch Zufall: In einem hinteren Korridor der von Millionen Touristen besuchten Grabeskirche lehnte seit unbestimmter Zeit eine nicht weiter beachtete und mehrere Tonnen schwere Steinplatte an der Wand. Auf ihrer Vorderseite hatten sich unzählige Besucher mit Graffitis verewigt. Vor Kurzem musste diese Steinplatte jedoch wegen Bauarbeiten zur Seite geschafft werden und Arbeiter drehten sie dabei um.
Dies enthüllte Spektakuläres: Die Rückseite der Steinplatte war mit aufwendigen Marmor-Ornamenten mittelalterlicher Machart verziert. Die Größe und die aufwendige Verzierung deuten darauf hin, dass diese Platte einst die Frontseite des mittelalterlichen Hochaltars der Grabeskirche schmückte. Dieser Hochaltar wurde am 15. Juli 1149 im Gedenken an die Eroberung Jerusalems durch den ersten Kreuzzug eingeweiht, galt aber bisher als restlos zerstört.
Mittelpunkt des christlichen Heiligtums
Die Steinplatte entpuppt sich damit als einzigartiger Fund, wie die Archäologen um Amit Re’em von der Israelischen Behörde für Altertümer berichten. Denn der mittelalterliche Hochalter war vor fast 900 Jahren eigens zur erneuten Weihe der Grabeskirche entworfen und errichtet worden. „Mit einer ursprünglichen Breite von mehr als 3,50 Metern haben wir hier den größten mittelalterlichen Altar entdeckt, der derzeit bekannt ist“, berichtet Koautor Ilya Berkovich von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).
Das besondere Kunstwerk bildete Jahrhunderte lang den Mittelpunkt des berühmten Kirchenbaus. „Wir kennen aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert Pilgerberichte über einen prächtigen Marmoraltar in Jerusalem“, so Berkovich. Doch im 19. Jahrhundert wurde der Altar vollständig zerstört – so jedenfalls dachte man bisher: „Im Jahr 1808 kam es zu einem großen Feuer im romanischen Teil der Grabeskirche“, berichtet der Historiker. „Seitdem war der Kreuzritter-Altar nicht mehr da.“
Dass eine Frontplatte dieses Hochaltars jahrhundertelang erhalten geblieben ist und die ganze Zeit vor aller Augen in der Grabeskirche stand, ist daher eine echte Sensation: „Dass ausgerechnet an dieser Stelle etwas so Bedeutendes so lange unerkannt herumliegen konnte, kam für alle Beteiligten völlig unerwartet“, sagt Berkovich.
Direkter Draht zum Papst
Spannend auch: Der außergewöhnlich kunstvolle Kreuzritter-Hochaltar weist auf eine zuvor unbekannte Verbindung zwischen Rom und dem christlichen Königreich Jerusalem hin. Denn die mit prachtvollen Schleifenornamenten verzierte Frontplatte ist der sogenannten Kosmatesk-Technik gefertigt. Bei dieser werden winzige Marmorplättchen so auf die Unterlage geklebt, dass sie geometrische Muster und schillernde Ornamente bilden.
Diese aufwendige Methode beherrschten damals jedoch nur speziell geschulte Zunftmeister des Vatikans. Sie gaben diese Fertigkeit von Generation zu Generation nur unter ihresgleichen weiter. Die wertvollen Verzierungen waren daher fast ausschließlich klerikalen Bauten in Rom vorhalten. Einzige bisher bekannte Ausnahme war die Westminster Abbey in England. Jetzt kommt die Grabeskirche in Jerusalem hinzu. Der Papst muss damals eigens einen Kosmaten-Meister geschickt haben, um das für das Christentum zurückeroberte Heiligtum gebührend auszustatten.
„Der Papst würdigte damit die heiligste Kirche der Christenheit“, erklärt Berkovich. Gleichzeitig untermauerte die Entsendung des päpstlichen Zunftmeisters den Anspruch der Christenheit auf Jerusalem und das gesamte „Heilige Land“. Die Historiker hoffen nun, in den päpstlichen Archiven weitere Details über die Entstehungsgeschichte des Altars zu finden – möglicherweise sogar die Identität des Kosmaten-Meisters, der das Kunstwerk geschaffen hat. (Eretz-Israel, 2024; ISSN 0071-108X)
Quelle: Österreichische Akademie der Wissenschaften