Algorithmus erkennt zuverlässig Pigmente in zwei historischen Altarbildern
Mit KI gegen die Datenflut: Kunsthistoriker haben einen Algorithmus entwickelt, mit dem sich Röntgenscans historischer Gemälde schneller und präziser auswerten lassen als von Hand. Die KI macht weniger Fehler und erkennt zuverlässig chemische Elemente in Pigmenten und Farbmischungen. Das erleichtert Kunstexperten nicht nur die detaillierte Analyse von Werken Alter Meister wie Raffael, sondern auch deren originalgetreue Restaurierung.
Historische Gemälde lassen sich heutzutage mit verschiedenen Techniken durchleuchten und Schicht für Schicht analysieren. Beispielsweise kann man mit der Makro-Röntgenfluoreszenz (MA-RFA) anhand der chemischen Zusammensetzung der Pigmente detailliert untersuchen, welche Farben ein Künstler verwendet und in welcher Reihenfolge er sie aufgetragen hat. Solche Scanner werden inzwischen routinemäßig in Museen und Konservierungsstudios eingesetzt, um alte Gemälde und ihre Entstehungsgeschichte zu untersuchen.
Die Auswertung dieser Aufnahmen erfordert jedoch viel Aufwand und Übung, selbst für Kunstexperten mit hohem technischem Kenntnisstand. Grund dafür sind zum einen die enormen Datenmengen, aber auch Störsignale in den Röntgenbildern, die bei komplexen Farbmischungen auftreten können.
Algorithmus wertet Gemälde-Scans aus
Ein Team um Zdenek Preisler vom Nationalen Forschungsrat (CNR) in Italien hat nun einen Algorithmus entwickelt, um solche MA-RFA-Bilder automatisch zu durchsuchen und auszuwerten. Dafür trainierten die Forschenden die KI mit über 500.000 Farbspektren und brachten ihr bei, die darin enthaltenen 57 Pigmente und Farbverbindungen zu erkennen.
Anschließend analysierten Preisler und seine Kollegen mit dieser KI zwei berühmte historische Gemälde, die der Renaissance-Künstler Raffaello Sanzio da Urbino – kurz Raffael (1483-1520) – zwischen 1500 und 1501 malte: der „Gottvater“ und die „Jungfrau Maria“. Beide Kunstwerke gehören zum Altarbild „Pala vom seligen Nikolaus von Tolentino“, das Raffael zusammen mit Evangelista da Pian di Meleto für die gleichnamige Kirche in der italienischen Stadt Città di Castello malte. Von dem einst riesigen Altarbild bestehend aus mehreren Holztafeln sind heute nur vier Fragmente erhalten.
Schnelle und zuverlässige Pigment-Suche
Die KI erkannte in diesen Bildern zuverlässig verschiedene chemische Elemente – darunter Blei, Quecksilber und Kupfer. Das Blei stammte aus dem Bleiweiß [Pb3(CO3)2(OH)2] der Grundierung und der Bild-Highlights. Das Quecksilber ist Teil des Zinnoberrots (HgS), das Raffael für Hauttöne und für Kontrasteffekte verwendete. Das Kupfer ist in den Grüntönen der Stoffe enthalten. Eisen- und Manganoxide markierten darüber hinaus die beiden Figuren und die Hintergrundelemente der Bilder.
Die Auswertung ergab zudem, dass die von Raffael verwendeten grünen und blauen Farben Spuren von Kalium enthielten. Das legt nahe, dass diese Farbtöne entweder aus grünem Kupferresinat hergestellt wurden oder aus blauem Azurit [Cu3(CO3)2(OH)2] – pur oder gemischt mit einem gelben Lackpigment. Die blauen Töne waren zudem mit einer Mischung aus blauem Lapislazuli und Bleiweiß überzogen, wie die Bleispuren belegen.
Die Forschenden schließen aus diesem Experiment, dass die KI den Kunstexperten die Arbeit erleichtern kann, indem sie schnelle Auswertungen von Röntgenscans ermöglicht. Die KI-Ergebnisse sind sogar akkurater als „von Hand“ ausgewertete Daten und unterscheiden präzise, an welchen Stellen Störeffekte auftreten und wo echte Pigmente vorhanden sind, erklärt das Team.
KI erleichtert Kunsthistorikern die Arbeit
So entdeckte die KI auch zuverlässig Goldtöne ohne Falsch-Positive-Datenpunkte: „Die MA-RFA-Scans zeigten auch die vergoldeten Motive der beiden Tafelbilder, die teilweise in der aktuell sichtbaren Bildkomposition verdeckt waren, und enthüllten Restaurierungsarbeiten, die im Laufe der Zeit mit anachronistischen Pigmenten stattfanden“, berichten Preisler und seine Kollegen.
Aus diesen übermalten Details können Kunsthistoriker heute Rückschlüsse über das ursprüngliche Aussehen der Bilder gewinnen und sie nun mit zeitgemäßeren Pigmenten originalgetreu restaurieren. (Science Advances, 2024; doi: 10.1126/sciadv.adp6234)
Quelle: American Association for the Advancement of Science (AAAS)