Training der räumlichen Orientierung könnte vor Alzheimer schützen
Hilfreiches Gedächtnistraining? Taxifahrer und Krankenwagenfahrer sterben seltener an Alzheimer als Menschen in anderen Berufen, wie eine Studie zeigt. Das könnte daran liegen, dass die Fahrer sich öfter orientieren und navigieren müssen. Das ständige Training des räumlichen Gedächtnisses scheint diese Menschen in gewisser Weise vor der Alzheimer-Demenz zu schützen, vermuten die Forschenden. Die Werte belegen zwar keinen direkten Zusammenhang, legen diesen jedoch nahe.
Für das räumliche Gedächtnis und die Navigation ist in unserem Gehirn der Hippocampus zuständig. Diese Hirnregion wird immer dann aktiv, wenn wir uns orientieren und nach einem Weg suchen müssen, wie es bei Taxifahrern regelmäßig der Fall ist. Tatsächlich ist diese Gehirnregion bei Taxifahrern aktiver als in der Allgemeinbevölkerung, wie eine Studie aus London gezeigt hat.
Der Hippocampus ist allerdings auch an der Entwicklung der Alzheimer-Demenz beteiligt. Alzheimer-Patienten verlieren daher auch oft die Orientierung. Diese neurodegenerative Erkrankung hat viele Ursachen und tritt tendenziell in höherem Alter auf. Frühere Studien haben allerdings gezeigt, dass Gedächtnistraining vor Alzheimer schützen oder den Verlauf verlangsamen kann. Aber kann auch Taxifahren als solches Gedächtnistraining fungieren, weil sie den Hippocampus als Navigationszentrum stärker nutzen?
Zeigt sich das Alzheimer-Risiko am Beruf?
Um dies zu untersuchen, hat ein Team um Vishal Patel von der Harvard Medical School überprüft, ob Taxifahrer seltener an Alzheimer sterben als Menschen mit anderen Berufen. Dafür werteten die Forschenden die Sterbeurkunden von fast neun Millionen Erwachsenen aus, die in den Jahren 2020 bis 2022 in den USA verstorben sind.
Zu den darin verzeichneten Daten gehörten die Todesursache und der Beruf, in dem der Verstorbene den größten Teil seines Arbeitslebens verbracht hatte. Demnach arbeiteten die Verstorbenen in 443 verschiedenen Berufen. Um verzerrende Effekte auszuschließen, bezogen die Forschenden auch soziodemografische Informationen wie Alter, Geschlecht, ethnische Gruppe und Bildungsabschluss mit ein.
Taxi- und Krankenwagenfahrer im Vorteil?
Die Auswertung ergab, dass 1,69 Prozent aller untersuchten Menschen an Alzheimer starben. Bei den Taxifahrern starben hingegen nur 1,03 Prozent an dieser Krankheit und bei den Krankenwagenfahrern sogar nur 0,91 Prozent. Sie zählen damit zu den Berufen mit der niedrigsten Alzheimer-Sterberate. Menschen dieser Fahrberufe sterben demnach tatsächlich seltener an Alzheimer. „Das Muster der niedrigen Mortalität durch Alzheimer bei Taxi- und Krankenwagenfahrern wurde allerdings nicht beobachtet, als andere Demenzformen ausgewertet wurden”, schreibt das Team.
Diese Daten legen nahe, dass es einen Zusammenhang zum Verkehrsalltag der Taxi- und Krankenwagenfahrer gibt. Dieser scheint jedoch bei anderen verkehrsbezogenen Berufen wie Busfahrern, Schiffskapitänen oder Flugzeugpiloten nicht zu bestehen. Denn unter den Busfahrern starben 1,65 Prozent, bei den Kapitänen 2,12 Prozent und bei den Piloten sogar 2,34 Prozent an Alzheimer-Demenz. Letztere zählen damit zu den Berufen mit der höchsten Alzheimer-Sterberate, wie die Auswertung ergab.
Besser trainierter Hippocampus?
Den Grund für diese Unterschiede vermuten Patel und seine Kollegen in der Art des Fahrens bei diesen Berufen: Zwar steuern alle ein Verkehrsmittel, aber Busse, Schiffe und Flugzeuge folgen eher vorgegebenen Fahr- oder Flugrouten, während Taxis und Krankenwagen ständig neuen Routen folgen.
Busfahrer, Kapitäne und Piloten müssen daher weniger navigieren als Taxi- und Krankenwagenfahrer. Dadurch könnte ihr Hippocampus entsprechend weniger gut trainiert sein, vermuten Patel und seine Kollegen. Tatsächlich ergab eine Folgestudie, dass diese Hirnregion bei Londoner Busfahrern nicht so ausgeprägt ist wie bei Taxifahrern.
Demnach unterscheiden sich die Gehirne von Taxi- und Krankenwagenfahrern von denen anderer Menschen und diese neurologischen Unterschiede senken das Alzheimer-Risiko, schließen die Forschenden. Da bei diesen Personen der Hippocampus aktiver ist, könnte das verminderte Sterberisiko auf die regelmäßige Nutzung dieses Hirnareals zurückgehen. Das wirft die Möglichkeit auf, dass gedächtnisintensive Berufe in gewisser Weise vor der Alzheimer-Demenz schützen könnten.
Korrelation – aber auch kausaler Zusammenhang?
„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es wichtig ist zu berücksichtigen, wie sich Berufe auf das Risiko auswirken, an Alzheimer zu sterben, und ob kognitive Aktivitäten potenziell präventiv sein können“, sagt Seniorautor Anupam Jena vom Massachusetts General Hospital. Die Daten belegen allerdings bisher nur eine Korrelation, nicht jedoch einen kausalen Zusammenhang zwischen Fahrberuf und Alzheimer-Risiko.
Eindeutige Schlussfolgerungen über Ursache und Wirkung sind daher nicht möglich. „Weitere Forschung ist notwendig, um definitiv zu sagen, ob die für diese Berufe erforderliche räumliche kognitive Arbeit das Risiko beeinflusst, an Alzheimer zu sterben, und ob kognitive Aktivitäten potenziell präventiv sein können“, schreiben die Forschenden.
Denkbar wäre beispielsweise auch, dass die Korrelation nur deshalb auftritt, weil Personen mit höherem Alzheimer-Risiko seltener solche gedächtnisintensiven Fahrberufe wie Taxi- und Krankenwagenfahren ausüben. Allerdings ist das individuelle Alzheimer-Risiko im berufstätigen Alter oft nicht bekannt und Betroffene zeigen zu diesem Zeitpunkt noch keine Symptome der Alzheimer-Demenz. Das Team hält es daher für unwahrscheinlich, dass eine Verzerrung vorliegt. (The BMJ, 2024; doi: 10.1136/bmj-2024-082194)
Quelle: BMJ Group, Mass General Brigham