Immer wieder registrieren Radioteleskope in den Tiefen des Alls extrem kurze Ausbrüche von Strahlung
Es ist ein kosmisches Blitzlichtgewitter, das sich um uns herum abspielt. Ständig zuckt am irdischen Himmel irgendwo ein Puls auf, der im nächsten Augenblick wieder erlischt. Diese nur mit Radioteleskopen messbaren, tausendstel Sekunden andauernden Blitze stellen die Forscher vor eines der größten Rätsel der Astrophysik. Dass militante Aliens in den Weiten des Weltalls einen „Krieg der Sterne“ austragen, glauben die Wissenschaftler eher weniger. Woher aber stammen diese von den Experten schlicht Fast Radio Bursts genannten Erscheinungen?
Text: Helmut Hornung
Im australischen Parkes ragt eine gigantische Schüssel aus Gittergeflecht in den Himmel. Dieses mit 64 Meter Durchmesser lange Zeit größte voll bewegliche Radioteleskop der südlichen Hemisphäre registrierte im Jahr 2001 einen geheimnisvollen Radioblitz – und kein Mensch merkte es! Erst fünf Jahre später fanden der Astrophysiker Duncan Lorimer und sein Student David Narkevic in den Daten des Teleskops mehr oder weniger zufällig die Signatur des Signals. Schon damals konnten sich die Fachleute keinen Reim auf das Phänomen machen. Aber dieser „Lorimer-Blitz“ blieb nicht der einzige.
„Mittlerweile kennen wir mehr als hundert“, sagt Laura Spitler. Die Forscherin leitet am Max-Planck-Institut für Radioastronomie seit März 2019 eine Lise-Meitner-Gruppe zu dem Thema. Spitler widmet sich schon seit vielen Jahren diesem flüchtigen Flackern im All. Unter ihrer Führung entdeckte ein internationales Team 2014 den ersten Fast Radio Burst (FRB) auf der nördlichen Himmelskugel, und zwar im Sternbild Fuhrmann. Damals hatten die Astronomen die Schüssel des Arecibo-Teleskops auf Puerto Rico verwendet. Die 305 Meter durchmessende Antenne ist in einem natürlichen Tal fest verankert und kann immer nur einen relativ kleinen Ausschnitt des Firmaments ins Visier nehmen.
„Statistisch gesehen sollte es nur sieben Ausbrüche pro Minute über den ganzen Himmel verteilt geben. Es gehört also schon eine Menge Glück dazu, dass man sein Teleskop zur richtigen Zeit auf die richtige Position ausrichtet“, sagte Laura Spitler damals nach Bekanntgabe der Entdeckung. Sowohl die Eigenschaften des beobachteten Radioblitzes als auch die aus der Messung abgeleitete Häufigkeit solcher Ereignisse stimmten sehr gut mit dem überein, was die Astronomen bei allen vorher beobachteten Ausbrüchen herausgefunden hatten.
Tatsächlich bestätigten sich statistische Annahmen, wonach rund 10.000 dieser ungewöhnlichen kosmischen Phänomene pro Tag am irdischen Firmament aufflackern sollten. Die erstaunlich große Anzahl ergibt sich aus Berechnungen, ein wie großer Teil des Himmels wie lange beobachtet werden müsste, um die bisher vergleichsweise wenigen Entdeckungen zu erklären.
Zudem räumte die Arecibo-Messung auch die letzten Zweifel daran aus, dass die Radioblitze wirklich aus den Tiefen des Universums stammen. Denn schon nach den ersten registrierten Bursts folgerten die Wissenschaftler, dass diese in einem Bereich weit außerhalb unserer Milchstraße entstehen. Das ließ sich aus einem Effekt namens Plasmadispersion ableiten: Wenn die Radiosignale über eine große Strecke durch das Universum laufen, treffen sie unterwegs auf zahlreiche freie Elektronen, die sich im Raum zwischen den Sternen aufhalten.
Letztlich nimmt dadurch die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Radiowellen bei niedrigeren Frequenzen in charakteristischer Weise ab. Bei dem mit dem Arecibo-Teleskop entdeckten oben erwähnten Strahlungsausbruch etwa war diese sogenannte Dispersion dreimal größer als man das von einer Quelle innerhalb unserer Milchstraße maximal erwarten würde. Säße die Quelle in der Galaxis, dann würde die interstellare Materie nur drei bis sechs Prozent zur beobachteten Dispersion beitragen.
Was aber ist der Ursprung der Radioblitze? Die Astrophysiker haben diverse Szenarien entworfen, alle mehr oder weniger exotisch. Viele davon drehen sich um Neutronensterne. Das sind die nur 30 Kilometer großen Überbleibsel von gewaltigen Explosionen massereicher Sonnen als Supernovae. In diesen Kugeln ist die Materie so dicht gepackt, dass ein Teelöffel voll ihrer Materie auf der Erde etwa so viel wiegen würde wie das Zugspitzmassiv. Die Neutronensterne rotieren schnell um ihre Achsen und besitzen zum Teil außergewöhnlich starke Magnetfelder.
So könnten Fast Radio Bursts während einer Supernova entstehen, aber auch bei der Verschmelzung zweier Neutronensterne in einem engen Doppelsternsystem, wenn die Magnetfelder der beiden Einzelsterne gleichsam zusammenbrechen. Zudem könnte ein Neutronenstern zu einem schwarzen Loch weiter kollabieren und dabei einen Blitz aussenden.
Diese wissenschaftlichen Drehbücher klingen auf den ersten Blick plausibel, haben aber einen Fehler: Sie sagen jeweils nur einen einzigen Radioburst voraus. „Wenn der Blitz in einem verheerenden Ereignis erzeugt wurde, das die Quelle zerstört, dann ist eben auch nur ein Blitz pro Quelle zu erwarten“, sagt Laura Spitler. In der Tat wurden in den ersten Jahren stets einmalige Ausbrüche registriert – bis im Jahr 2014 ein Burst mit der Bezeichnung FRB 121102 ins Netz ging: Der erste sogenannte Repeater, ein Blitz mit sich wiederholenden Pulsen. „Damit waren all jene Modelle widerlegt, die FRB als Folge eines katastrophalen Ereignisses erklären“, sagt Spitler.
Den ebenfalls am Arecibo-Teleskop entdeckten FRB 121102 haben die Forscher mit dem Very Large Array im US-Bundesstaat New Mexico weiter beobachtet und nach 80 Stunden Messzeit neun Blitze registriert sowie die Position mit einer Genauigkeit von einer Bogensekunde bestimmt. An der Stelle am Himmel findet sich eine permanent strahlende Radioquelle; optische Aufnahmen zeigen eine schwache, rund drei Milliarden Lichtjahre entfernte Galaxie.
Mit einem Durchmesser von lediglich 13.000 Lichtjahren gehört dieses Sternsystem zu den Zwergen, unsere Milchstraße ist etwa zehnmal größer. „Allerdings werden viele neue Sterne und vielleicht sogar besonders große in dieser Galaxie geboren – was ein Hinweis auf die Quelle der Radioblitze sein könnte“, so Laura Spitler.
Die Forscherin denkt dabei an Pulsare – kosmische Leuchttürme, die regelmäßig Radiostrahlung aussenden. Dahinter stecken wiederum schnell rotierende Neutronensterne mit starken Magnetfeldern. Weichen bei einem solchen Objekt die Rotationsachse und die Achse des Magnetfelds voneinander ab, kann ein gebündelter Radiostrahl entstehen. Jedes Mal, wenn dieser natürliche Scheinwerfer die Erde überstreicht, messen die Astronomen einen kurzen Puls.
Die Blitze der meisten Radiopulsare sind zu schwach, um sie aus großer Entfernung zu detektieren. Anders die besonders kurzen und extrem starken sogenannten Riesenpulse. Ein Paradebeispiel für diese Objektklasse ist der Krebspulsar, der in einer 1054 nach Christus beobachteten Supernovaexplosion geboren wurde. Seine Pulse wären selbst von Nachbargalaxien aus sichtbar.
„Ein vielversprechendes Modell schlägt vor, dass Fast Radio Bursts noch viel stärkere und seltenere Riesenpulse von extragalaktischen Neutronensternen sind, ähnlich dem Krebspulsar. Oder sogar noch jünger und energetischer wie dieser“, sagt Laura Spitler. „Die Heimatgalaxie von FRB 121102 passt zu diesem Modell, denn sie hat das Potenzial, genau die richtigen Sterne hervorzubringen, die am Ende ihres Lebens zu Neutronensternen werden.“
Ob dieses Modell zutrifft, steht aber buchstäblich in den Sternen. Leichter wird die Aufklärung nicht, doch die Beobachtungen gehen weiter. So haben die Radioantennen des Europäischen VLBI-Netzwerks im Sommer 2019 einen weiteren Repeater untersucht: FRB 180916.J0158+65 zeigte während der fünf Stunden langen Beobachtung gleich vier Strahlungsausbrüche, die jeweils weniger als zwei Millisekunden lang andauerten.
Die Heimat dieses Radioblitzes liegt in einer ungefähr 500 Millionen Lichtjahre entfernten Spiralgalaxie – damit ist er trotz dieser „astronomisch“ anmutenden Distanz der nächstgelegene bisher beobachtete. Zudem stellte sich heraus, dass es im Umfeld des Bursts offenbar eine hohe Rate an Sterngeburten gibt.
Die Position in der Galaxie unterscheidet sich von der aller anderen bisher untersuchten Blitze. Das heißt: Offenbar flammen die FRB in allen möglichen kosmischen Regionen und diversen Umgebungen auf. „Nicht zuletzt deshalb ist es noch unklar, ob alle Blitze die gleiche Art von Quelle haben oder durch die gleichen physikalischen Prozesse erzeugt werden“, sagt denn auch Max-Planck-Forscherin Spitler. „Das Rätsel um ihre Herkunft bleibt.“