Die Ärztin Kirsten Tappert-Gonther kritisierte hingegen den Entwurf, den Renate Künast maßgeblich mitgestaltet hatte, als zu liberal: »Auch Liebeskummer kann zu Suizidgedanken führen. Eine einmalige Beratung und drei Wochen Wartefrist reichen hier nicht aus. Es braucht ein Schutzkonzept, das sicherstellt, dass ein Suizidwunsch frei verantwortlich und von Dauer ist.« Die Sicherung der Selbstbestimmung sei die zentrale Aufgabe der gesetzlichen Regelung, so die Abgeordnete in ihrer Rede.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hat das »Nein« des Bundestags zu den zwei Vorschlägen derweil begrüßt. »Es war richtig, dass der Bundestag über die organisierte Suizidbeihilfe abgestimmt und sich gegen beide Entwürfe entschieden hat«, sagte Vorstand Eugen Brysch gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. »So wird Deutschland vor einem ethischen Dilemma bewahrt.«
Niemand muss Sterbehilfe leisten
Da nun keiner der beiden Entwürfe angenommen wurde, bleibt es vorerst bei der derzeitigen Rechtslage, die auf dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020 beruht. Jeder in Deutschland darf demnach selbstbestimmt sterben und dabei die Hilfe anderer in Anspruch nehmen, wobei die Suizidhilfe nicht an bestimmte Bedingungen wie ein unerträgliches oder zum Tod führendes Leiden geknüpft ist. Die Tötung auf Verlangen – auch aktive Sterbehilfe oder Euthanasie genannt – ist weiterhin verboten und strafbar. Auch ist es jeder Person selbst überlassen, ob sie Sterbehilfe leisten möchte oder nicht.
Umgesetzt werden soll nun zunächst der Antrag, der vorsieht, Suizidprävention in Deutschland auszubauen. Für den Vorschlag votierten 688 Abgeordnete, dagegen stimmte nur eine Person. Es gab vier Enthaltungen. Unter anderem soll ein bundesweiter Präventionsdienst etabliert werden, der Menschen mit Suizidgedanken und Angehörigen rund um die Uhr online und mit einer einheitlichen Telefonnummer Kontakt zu geschulten Ansprechpartnern ermöglicht.
Experten sehen vor allem in der Inklusion älterer und einsamer Menschen eine enorme, gesellschaftliche Herausforderung. Der Psychiater Thomas Pollmächer, der von 2021 bis 2022 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN) war, erklärt: Man dürfe nie ausschließen, dass eine suizidwillige Person unter einer behandelbaren psychischen Erkrankung leidet, die den Sterbewunsch auslöst. »Es geht auch darum, niederschwellige Angebote bekannt zu machen, zum Beispiel digitale Selbsthilfe-Programme oder psychosoziale Beratungsangebote.«
(dpa/ccw/doe)
Wege aus der Not
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Die Telefonseelsorge berät rund um die Uhr, anonym und kostenfrei: per Telefon unter den bundesweit gültigen Nummern 08001110111 und 08001110222 sowie per E-Mail und im Chat auf der Seite www.telefonseelsorge.de. Kinder und Jugendliche finden auch Hilfe unter der Nummer 08001110333.