Ob bei der Geldanlage, der Partnersuche oder der Menüwahl im Restaurant: Einfache Prinzipien können helfen, gute Entscheidungen zu treffen. Wie das gelingt, erklärt der Psychologe Ralph Hertwig.
Nächste Stufe: Herr Professor Hertwig, viele Menschen haben das Gefühl, die Welt sei unübersichtlich und unsicher. Ist das auch Ihr Eindruck?
Die Welt ist komplexer geworden, ganz klar, aber ist sie auch unsicherer geworden? Das sagt sich leicht – und wird häufig auch so empfunden, wie sich bei Umfragen etwa zur wahrgenommenen Kriminalität zeigt. Auf der anderen Seite ist unser Leben heute sicherer. Wir haben zum Beispiel die sozialen Sicherungssysteme, die uns schützen: gegen Arbeitslosigkeit, gegen Krankheit, gegen Altersarmut. Zudem können wir viele Unsicherheiten dank umfangreicher Informationen und Daten besser einschätzen. Wir messen also sozusagen die Unsicherheit – in Bereichen, wo wir das früher nicht konnten – und machen daraus ein bezifferbares Risiko. Dieses können wir dann bewusst eingehen oder auch nicht.
Das mag Ihnen als Experte leichtfallen. Aber die meisten Menschen mögen sich mit großen Datensätzen zur Risikoeinschätzung wohl eher nicht beschäftigen.
Das müssen sie auch nicht, weil die Ergebnisse ja für uns häufig öffentlich aufbereitet werden. Beim Fliegen zum Beispiel wissen wir, dass das Risiko, dabei umzukommen, sehr gering ist und unsere eigene Erfahrung beim Fliegen und die unseres sozialen Umfelds bestätigt das. Oder nehmen Sie die Beipackzettel bei Medikamenten, da ist sehr genau aufgeführt, welche Nebenwirkungen in welcher Häufigkeit auftreten.
Führt nicht gerade das Lesen von Beipackzetteln dazu, dass Patien- ten noch mehr Unsi- cherheit verspüren, weil sie auf Risiken stoßen, von denen sie zuvor nichts geahnt haben?
In Beipackzetteln werden meist sehr seltene Nebenwirkungen beschrieben, die beim Lesen ein viel größeres Gewicht bekommen als ihnen zusteht. Aber wenn ich mir das vergegenwärtige und das Medikament dann jeden Tag einnehme, mache ich die Erfahrung, dass sehr seltene Risiken tatsächlich sehr selten sind. Ich lerne also, mit dem Risiko zu leben.
Viele Menschen fühlen sich dennoch verunsichert. Und gerade im Alltag hat man es heutzutage mit mehr Widersprüchen zu tun als früher. Haben Sie einen Ratschlag, wie man die Qualität seiner Entscheidungen verbessern kann?
Gutes Entscheiden beruht häufig darauf, dass man sich auf die wenigen Aspekte konzentriert, die für die jeweilige Situation relevant sind. In der Fachsprache nennen wir das eine Heuristik: Dies ist ein Prinzip, das uns hilft, trotz begrenzter Zeit und begrenztem Wissen zu einer praktikablen Lösung zu kommen.
Ein Beispiel?
Nehmen Sie die Notlandung des Passagierflugzeugs 2009 auf dem Hudson River, bei dem durch Vogelschlag die Triebwerke ausgefallen waren. Die Piloten mussten in wenigen Augenblicken die Entscheidung treffen: Steuern wir den nächsten Flughafen an oder machen wir eine Notlandung? Sie hatten zum Glück auch eine Heuristik gelernt: Ich fixiere den nächstgelegenen Flughafen als Punkt auf der Windschutzscheibe – sinkt dieser auf der Scheibe, lässt er sich noch erreichen; steigt er dagegen an, wird er mit Sicherheit verfehlt. In diesem Fall bewegte er sich nach oben, die Piloten mussten die Maschine vorher landen – und wählten den Fluss.
Diese Heuristik hilft aber nur in diesem einen konkreten Fall. Gibt es auch welche, die sich auf verschiedene Gebiete anwenden lassen?
Die Formel 1/N wäre so eine. Damit kann ich zum Beispiel eine relativ risikoarme Entscheidung über eine Geldanlage treffen. Angenommen ich will Aktien erwerben: Statt mein Geld in die Aktien eines einzigen Dax-Unternehmens zu investieren, ist es besser, das Geld auf alle 30 Dax-Unternehmen zu verteilen; N wäre dann 30.
Auf welche anderen Situationen ist das übertragbar?
Die Formel funktioniert gut, wenn es um das Verteilen von Ressourcen geht, sei es Geld oder auch Aufmerksamkeit. Zum Beispiel bei Verteilungskonflikten in der Familie, etwa die elterliche Zeit für mehrere Kinder. Auch hier kann 1/N helfen; N bedeutet hier die Anzahl der Kinder. Heuristische Prozesse kann man auch bei der Entscheidung für einen Partner entdecken. Dieses Problem ist in der Wissenschaft als „Sekretärs-Problem“ bekannt: Wie finde ich einen guten Mitarbeiter? Das ist eine ähnliche Fragestellung wie bei der Partnerwahl. Ich schaue mir nacheinander Bewerber an, und frage mich, ob derjenige bereits passt oder ob ich weitersuche. Dabei haben Forscher mithilfe statistischer Analysen festgestellt: Von 100 Kandidaten sollte man sich 37 anschauen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was das optimale Anspruchsniveau sein sollte. Danach akzeptiert man den ersten Bewerber, der besser als der bis dahin beste ist.