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Was glaubst du eigentlich, wer du bist?

Was glaubst du eigentlich, wer du bist?

Der Einfluss der Persönlichkeit

Witzig, behäbig oder einfach nur dreist – jeder Mensch hat eine ganz eigene, individuelle Persönlichkeit. Doch aus welchem Grund sind einige Menschen zurückhaltend, während andere vor Selbstbewusstsein förmlich strotzen? Wie misst man die Persönlichkeit und wie verändern sich die individuellen Charaktermerkmale im Laufe des Lebens? Und haben nur Menschen eine Persönlichkeit oder unterscheiden sich auch Tiere oder gar Insekten in ihrem Wesen? 

Die Persönlichkeit eines Menschen hat einen enormen Einfluss auf dessen individuellen Lebensweg. Je nachdem, ob eine Person arbeitsam ist oder faul, gesellig ist oder eigenbrötlerisch, wird sie Erfolg im Beruf oder im Sozialleben haben. Aus diesem Grund haben viele Menschen versucht, an ihrem Charakter zu arbeiten und sich einige der erwünschteren Eigenschaften anzueignen. Gleichzeitig verändern sich einige Charakterzüge im Laufe der Zeit, durch einschneidende Erlebnisse, aber auch durch Lebenserfahrung. Und auch manche unserer tierischen Begleiter können großzügig, faul oder aggressiv sein. 

So bin ich eben

Wie entsteht Persönlichkeit?

Liebevolle Frohnaturen finden schnell Freunde und Partner, unsympathische Faulenzer haben eventuell Probleme im Job – die Persönlichkeit kann das ganze Leben beeinflussen. Doch woher kommen die individuellen Charakterneigungen? Die Frage, ob die Charakterzüge in den Genen liegen oder ob diese eher vom sozialen Umfeld beeinflusst werden, ist eine alte Frage der psychologischen Forschung.

Einfluss von Genen stärker als erwartet

Mittlerweile ist weitestgehend geklärt, dass beides, Gene und Umfeld, einen Einfluss auf die Persönlichkeit haben. Tatsächlich werden bestimmte Eigenschaften wie beispielsweise Intelligenz eher genetisch beeinflusst, andere sind hingegen stärker vom sozialen Umfeld geprägt. Doch laut Judith Rich Harris, Autorin des Buches „Ist Erziehung sinnlos?“ werden in der Forschung die Auswirkungen der Gene auf die Ausbildung der Persönlichkeit häufig unterschätzt, die der elterlichen Erziehung eher überschätzt: Rund die Hälfte der Persönlichkeitsmerkmale von Eltern werden ihren Angaben nach an die Kinder vererbt. 

Schläfrig, fröhlich, eigensinnig – wer schon einmal mit einem Säugling interagiert hat, weiß, dass auch Babys bereits eine individuelle Persönlichkeit haben. Allerdings ist diese noch nicht so stabil wie bei erwachsenen Menschen: „Wir sprechen am Anfang des Lebens aber noch nicht von Persönlichkeit, sondern von frühkindlichem Temperament“, sagt die Entwicklungspsychologin Birgit Elsner von der Universität Potsdam gegenüber der Apotheken Umschau. Typischerweise zeige sich der „echte“ Charakter von Kindern erst im Kindergartenalter oder sogar noch später.  

Frühkindliche Bindungserfahrungen sind essenziell 

Dazu prägen auch die Bindungserfahrungen, die Kleinkinder in den ersten zwei Jahren mit ihren primären Bezugspersonen – in der Regel den Eltern – machen, oft ein Leben lang. Das zeigt sich sogar im Gehirn: Wenn Kinder frühkindliche Traumata durchleben mussten, betrifft dies vor allem die Gehirnteile, die mit Umgang mit Stress, Selbstberuhigung, Empathie und Impulshemmung zu tun haben.  

Allerdings reagieren schon Kleinkinder beispielsweise auf schlechte Behandlung oder sogar Misshandlung zutiefst unterschiedlich. Während viele der geschädigten Kinder zu Problemkindern werden und stehlen, stänkern oder anderweitig in Schwierigkeiten geraten, kommen andere, die eine ähnlich problematische oder sogar eine noch schlimmere Kindheit hatten, gut zurecht, haben als Erwachsene etwa einen festen Job, sind sozial eingebunden und psychisch stabil.  

Umwelt und Gene beeinflussen sich gegenseitig 

Als Grund hierfür wird wiederum das angeborene Temperament beziehungsweise die Persönlichkeit eines Kindes angeführt. Während ein robustes Kind stressige bis traumatische Erfahrungen eventuell gut wegsteckt, leiden von Natur aus sensiblere Jungen und Mädchen länger an den Folgen. Das veranlagte Temperament der Kleinkinder ist wie ein Vordruck für unsere Persönlichkeit. In welche Richtung die Reise danach geht, beeinflussen jedoch auch die späteren Erfahrungen. 

Ohnehin ist es eher so, dass sich die Faktoren untereinander beeinflussen. „Umwelt und Gene dürfen nicht als Gegensatz angenommen werden, sie korrelieren miteinander“, sagt dazu der Berliner Psychologe Jens Asendorpf gegenüber DasGehirn.info. Während beispielsweise Gene bei Kindern etwa 30 Prozent der Variabilität der Intelligenz beeinflussen, steigt sie bei Rentnern auf 70 Prozent. Der Grund: Intelligente Menschen suchen sich ein intelligentes Umfeld – dadurch entwickelt sich ein selbstverstärkender Effekt auf angeborene Eigenschaften.  

Soziale Erwartungen prägen früh 

Auch soziale Erwartungen prägen den Charakter von Kindern. Wir verhalten uns oft so, wie andere es von uns unbewusst erwarten. So zeigen Studien, dass Väter in der Gegenwart ihrer Töchter vermehrt Worte nutzten, die negative Emotionen ausdrücken, wie „weinen“ oder „einsam“. Bei der Interaktion mit ihren Söhnen prägte dagegen ein eher leistungsorientiertes Vokabular mit Worten wie „super“, „der Beste“ oder „gewinnen“ die Interaktion.  

„Der Geschlechter-Bias bei der Erziehung könnte zum einen völlig unbewusst passieren“, sagt dazu James Rillingvon der Emory University in Atlanta. „Zum anderen könnten Eltern aber auch gezielt versuchen, ihr Kind so zu erziehen, dass es den sozialen Erwartungen entspricht – in dem Glauben, dass ihnen das im späteren Leben nützen wird.“

Weil derartige bewusste und unbewusste Erwartungshaltungen nicht nur in Bezug auf die verschiedenen Geschlechter existieren, sondern auch bei unterschiedlichen sozialen Einkommensschichten oder Nationalitäten, werden Kinder stark davon geprägt.

Auch andere Erwartungen der Mütter und Väter können die Persönlichkeit der Kinder beeinflussen. Je nachdem, ob Eltern ihren Kindern besonders viel zutrauen oder sie für hilflos halten, ihrem Kind eine starke soziale Ader unterstellen oder sie grundlos für schüchtern halten, werden die Kinder oft entsprechend handeln. 

Die Vermessung der Eigenschaften

Wie Persönlichkeitstests den Charakter erklären sollen

INFJ, Typ 9w8, FEVL – Persönlichkeitstests gibt es zahlreiche. Und sie werden überraschend ernst genommen: Bei Bewerbungsverfahren nutzen viele Firmen Persönlichkeitstests wie den Myers-Briggs-Typenindikator, kurz MBTI, einige Bewerber geben ihren Typ sogar freiwillig auf dem Lebenslauf an. Auf einem Date das passende Sternzeichen zu haben, kann zu einem zweiten Treffen verhelfen, doch umgekehrt kann ein Sternzeichen-Missmatch bei einigen Leuten die gute Zeit schnell versauen. 

Der Künstler, der Debattierer, der Enthusiast 

Der wohl populärste Persönlichkeitstest ist der MBTI. Dieser auf Basis der Psychologie von Carl Gustav Jung entwickelte Test teilt den Befragten anhand von vier Eigenschaften in 16 verschiedene Persönlichkeitstypen auf. Dabei nutzt er Dichotomien in vier Kategorien – Antrieb, Aufmerksamkeit, Entscheidung und Lebensstil.  

Der Test unterscheidet dabei beispielsweise, ob eine Person im Antrieb eher introvertiert oder extravertiert ist, ob sie Eindrücke eher intuitiv oder realitätsorientiert verarbeitet und ob sie ihre Entscheidungen eher auf Basis ihrer Gedanken oder Gefühle trifft. In der Kategorie Lebensstil wird erfasst, wie strukturiert und flexibel eine Person Informationen verarbeitet. Eine Person, die etwa introvertiert ist, sensorisch, fühlend und urteilend, wäre sogenannter Verteidiger. Den 16 verschiedenen Typen des MBTI werden entsprechende Eigenschaften zugesprochen– so sind Verteidiger angeblich gewissenhaft, zurückhaltend und hilfsbereit. Dr. Watson von Sherlock Holmes soll demnach ein Verteidiger sein. 

Doch was ist dran an dem Test? Verschiedene Studien zeigen: Obwohl der Test allgemein beliebt ist und vor allem viele Personaler seinen Vorhersagen trauen, haben dessen Ergebnisse relativ wenig mit der Realität zu tun. Denn damit ein psychologischer Test als wissenschaftlich gelten darf, muss er drei Kriterien erfüllen: Er muss auch bei wiederholter Anwendung ähnlich Ergebnisse liefern. Die Ergebnisse müssen unabhängig von der durchführenden Person sein. Und er muss genau das messen, was auch gemessen werden soll. Der MBTI erfüllt diese Kriterien laut Studien leider nicht. 

Faszination Persönlichkeit 

Die meisten anderen Tests, die die Persönlichkeit bestimmen sollen, teilen Personen ebenfalls feste Eigenschaften zu: Der Enneagramm-Test teilt Individuen beispielsweise in neun Kategorien ein, der Attitudinal-Psyche-Test in 24. Auch Sternzeichen sind zur Bestimmung der Persönlichkeit weitgehend beliebt, nur dass die individuellen Eigenschaften von Krebs, Löwe und Stier eben vom Geburtstag abhängen und nicht von irgendwelchen Testergebnissen.  

Die meisten dieser Tests sind wenig wissenschaftlich oder zuverlässig. Trotzdem finden wir uns häufig in den uns zugeteilten Typen wieder. Aber warum? Der Grund dafür, dass wir uns häufig in den Selbstbeschreibungen wiederfinden, ist der sogenannte Barnum-Effekt. Dieser beschreibt das Phänomen, dass Menschen schnell glauben (wollen), dass allgemeine Aussagen spezifisch für sie gelten. Dieser Effekt wirkt allerdings nur, wenn die Aussagen schwammig formuliert werden und sich an eine unspezifische Gruppe richten. Er beruht auf unserer Eigenschaft, gerne Komplimente anzunehmen und vermeintlich glaubwürdigen Quellen zu vertrauen.  

Solange eine Aussage als halbwegs positiv und möglichst allgemein formuliert ist, werden daher viele der Lesenden sich darin erkennen. Beispielsweise: „Du lernst schnell neue Leute kennen, baust Vertrauen aber erst nach einiger Zeit auf.“  

Die „Big Five“  

Ein Test, der hingegen nach Ansicht von Psychologen eine gute wissenschaftliche Basis aufweist, ist der Big-Five-Persönlichkeitstest, auch OCEAN-Modell oder Fünf-Faktoren-Modell genannt. Dieser misst fünf Dimensionen der Persönlichkeit: Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen und Ideen, dazu zählen auch Kreativität oder beispielsweise Sinn für Schönes. Eine weitere Dimension ist die Gewissenhaftigkeit, also die Neigung, ordentlich zu sein, fleißig und zielorientiert. 

Dazu kommen das Maß der Extraversion, also die Neigung zur Geselligkeit, als viertes die Verträglichkeit, also das Maß, in dem Personen anderen mit Altruismus, Wohlwollen und Empathie entgegentreten. Die fünfte Dimension ist der Neurotizismus als die Neigung einer Person zu Sorgen, Ängsten und emotionaler Labilität. 

Wie der wissenschaftliche Persönlichkeitstest entstand

Entwickelt wurde das Fünf-Faktoren-Modell durch Gordon Allport und Henry Odbert. Die beiden Psychologen schnappten sich das größte auf dem Markt erhältliche Sprachlexikon und notierten alle Begriffe, die Persönlichkeitseigenschaften beschreiben – von ängstlich über mitfühlend, hin zu zugänglich. Insgesamt notierten sie 17.953 Wörter. Nach und nach fassten sie die Begriffe dann immer weiter zusammen, indem sie ähnliche und korrelierende Eigenschaften in einem Merkmal zusammenfassten – beispielsweise sind gewissenhafte Zeitgenossen unter anderem Leistungsstreben, ordnungsliebend und pflichtbewusst. Leistungsstrebende Personen wiederum sind ehrgeizig und zielorientiert. Und so weiter. 

Im Gegensatz zu Sternzeichen, Enneagramm und Co gibt es keine festen Persönlichkeitstypen im OCEAN-Modell. Auch die Eigenschaften der fünf Grundkategorien sind nicht binär, sondern liegen auf einer Skala. Eine Person ist also nicht entweder völlig introvertiert oder extravertiert, sondern vielleicht irgendwo in der Mitte oder neigt zu einem Merkmal stärrker als zum anderen. Schließlich macht es einen Unterschied, ob man auf der Introversion-Extraversionsskala bei 51 Prozent oder 99 Prozent liegt.  

Das ist auch einer der Gründe, weshalb die „Big-Five“ als wesentlich zuverlässigeres Maß für die Persönlichkeit von Individuen gelten. Das Modell wird in der psychologischen Forschung häufig genutzt, um den Zusammenhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften und anderen Größen, wie Karriere, Partnerwahl oder Musikgeschmack zu finden.  

Besorgte Menschen hören Punk und Metal

Welchen Einfluss hat die Persönlichkeit auf den Lebensweg und Vorlieben?

Gestresste Menschen kriegen einen Herzinfarkt, gesellige Personen mehr Geschenke und Ich-bezogene Zeitgenossen eine Beförderung. Solche Klischees zum Zusammenhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften und deren Auswirkungen auf das Leben und den Werdegang einer Person  gibt es viele. Doch während einige Klischees sich bewahrheiten, sind andere überraschend falsch.  

Pünktliche Menschen verdienen mehr

Wie viel ein Mensch verdient, hängt laut Studien beispielsweise stark von allen fünf Dimensionen des OCEAN-Modells ab. Insgesamt gibt es „einen positiven Zusammenhang zwischen persönlichem Einkommen und den Merkmalen Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Extraversion, während gleichzeitig ein negativer und signifikanter Zusammenhang zwischen Einkommen und den Merkmalen Verträglichkeit und Neurotizismus festgestellt wurde“, berichten Giammarco Alderotti von der Universität Florenz und seine Mitautoren.  

Gewissenhafte Menschen etwa, die effizienter, pünktlicher und zuverlässiger sind, setzen sich häufiger Ziele und verfolgen diese außerdem ausdauernder und konzentrierter als ihre „schludrigen“ Kollegen, wie die Psychologen ermittelten. Damit sind dies genau die Faktoren, die laut Theorien am ehesten dazu führen, geplante Ziele zu erreichen. Allerdings können auch andere Charaktermerkmale, darunter sogar leicht psychopathische Tendenzen, zum Karriere-Aufstieg verhelfen. 

In der Schule und Universität lohnt es sich offenbar ebenfalls, ein eher gewissenhafter Mensch zu sein. Das zeigt eine Studie von Nicole Conrad und Marc Patry von der Saint Mary’s University in Kanada. Sie testeten die Beziehung zwischen angeblich leistungsfördernden Persönlichkeits-Merkmalen der Studierenden und deren Abschlussnoten. „Schon frühere Untersuchungen haben ergeben, dass ein Zusammenhang zwischen dem Persönlichkeitsmerkmal Gewissenhaftigkeit und akademischen Leistungen besteht“, kommentieren die Forschenden. Die Ergebnisse ihrer Studie zeigen ebenfalls eine starke Korrelation zwischen Leistung und Gewissenhaftigkeit.    

Nervosität macht krank 

Ein weiteres Klischee: Wer sich leicht stressen lässt ist, wird auf Dauer krank. Dass ständiges Sorgen machen, Stressen und Zweifeln nicht gut für die mentale Gesundheit sein kann, ist fast selbsterklärend. So belegen Studien, dass ein ständig erhöhter Pegel der Stresshormone das Herz-Kreislaufsystem, das Immunsystem und weitere wichtige Akteure unseres Körpers schädigen und schwächen kann. Wie stark unser Körper auf Stress mit einer solche Hormonausschüttung reagiert, ist aber auch abhängig von unserer Persönlichkeit. 

 So belegen diverse Studien einen Zusammenhang zum Persönlichkeitsmerkmal des Neurotizismus: „Neurotizismus hat Auswirkungen auf zwölf psychische Merkmale – schwere depressive Störung, Schlaflosigkeit, subjektives Wohlbefinden (negativ), Schizophrenie, Aufmerksamkeitsstörung, Alkoholabhängigkeit, Einsamkeit, Anorexia nervosa, Angststörung, bipolare Störung, Zwangsstörung und psychiatrische Störungen“, zählen Fu Zhang von der Universität Peking und Kollegen auf.   

Von neurotischen Stadtbewohnern und geselligen Hip-Hop Liebhabern 

Und auch unerwartete Eigenschaften können mit den Big-Five-Persönlichkeitsmerkmalen korrelieren. So zum Beispiel der Wohnort: Dem Stereotyp nach gelten Norddeutsche als unterkühlt, Süddeutsche eher als gemütlich. Das scheint Studien zufolge tatsächlich auch zuzutreffen. So seien Süddeutsche tendenziell stärker nach außen gewandt als die Menschen an der Küste.

In Sachen emotionale Stabilität stellte das Team ebenfalls Unterschiede fest. Interessant dabei: „In der Regionalverteilung von Neurotizismus sind wir auf eine Zweiteilung Deutschlands gestoßen, die überraschend klar der historischen Limes-Linie entspricht – mit niedrigeren Werten südlich des Limes“, berichtet Michael Fritsch von der Universität Jena. 

Auch der Musikgeschmack scheint charakterabhängig zu sein. Demnach beeinflusst der Persönlichkeitstyp eines Menschen, welche Songs oder Musikstücke er bevorzugt. So bevorzugen extrovertierte Menschen eher Songs und Musik mit Upbeat-Tempo, wie Hip-Hop oder auch elektronische Musik. Menschen mit hohen Werten bei der Verträglichkeit bevorzugen hingegen oft sanfte, langsamere Popsongs, Softrock oder auch Blues. Wenig überraschend war auch die Beobachtung, dass gewissenhafte, ordnungsliebende Menschen meist wenig mit Hard Rock, Metal oder Punk anfangen konnten.  

Überrascht wurden die Wissenschaftler jedoch vom neurotischen Persönlichkeitstyp: „Wir stellten fest, dass solche Menschen offenbar besonders intensive Musikstile präferieren – möglicherweise, weil diese ihre inneren Ängste und Frustrationen widerspiegeln.“ Als „intensive Musik“ werden dabei aggressive, laute und verzerrte Musikstücke eingestuft, wie beispielsweise Punk, Heavy Metal oder Hard Rock.  

„Das war überraschend, aber Menschen nutzen Musik eben auf unterschiedliche Weise – einige, um ihre Stimmung zu ändern, andere eher für eine Katharsis“, so Neurowissenschaftler David Greenberg von der University of Cambridge. Die intensive Musik könnte unsicheren, gestressten und ängstlichen Menschen dabei helfen, ihre inneren Spannungen abzubauen. Und auch wenn die Punk-Musiktherapie nicht funktioniert, gibt es noch Hoffnung, denn mit zunehmendem Alter werden Menschen häufig ohnehin entspannter. 

Vom wilden Rebellen zum liebevollen Opa

Wie sich Persönlichkeit im Lauf des Lebens ändert

Ist unsere Persönlichkeit schon von Kindesbeinen an ausgeprägt? Und wie stabil oder veränderlich ist sie durch Einflüsse und Erfahrungen im Verlauf unseres Lebens?

Zwar sind einige Aspekte unseres Charakters angeboren, andere jedoch nicht. Während man bis vor kurzem dachte, dass der Charakter eines Menschen bis zum Alter von 30 Jahren fast komplett ausgebildet ist, zeigen jüngste Studienergebnisse das Gegenteil: Im Experiment wurden Lehrkräfte gebeten, den Charakter ihrer Schüler einzuschätzen. Fast 60 Jahre später machten wiederholten einige der Schüler den Test – dieses Mal allerding mittels Selbstauskünften. Das Ergebnis: Fast keine ihrer Eigenschaften waren gleich geblieben – die ehemaligen Schüler hatten sich in Bezug auf ihre Persönlichkeit oft fast zur Unkenntlichkeit verändert. Doch was hat aus den unsicheren, aber interessanten Teenagern im Alter selbstbewusste, aber langweilige Charaktere gemacht?  

Aus unfreundlichen Chaoten werden ordnungsliebende Charmeure 

Tatsächlich gibt es eine bestimmte, typische Charakterentwicklung, die viele Menschen an den Tag legen: Im jungen Erwachsenenalter verändern sich demnach vor allem diejenigen Individuen, die dem sogenannten unterkontrollierten Persönlichkeitstyp zugeordnet werden können. Diese zeichnen sich durch eine geringe Verträglichkeit und eine geringe Gewissenhaftigkeit aus. „Etwa 40 Prozent der jungen Erwachsenen in Deutschland haben eine unterkontrollierte Persönlichkeit“, sagt Jule Specht, Professorin für Psychologie an der FU Berlin. „Ab einem Alter von etwa 30 Jahren reifen aber viele dieser jungen Rebellen zu resilienten Persönlichkeiten heran.“

Solche resilienten Individuen seien leistungsfähig, hätten ein hohes Selbstwertgefühl und litten nur selten unter psychischen Problemen.  

Im hohen Alter ändert sich die Persönlichkeit dann noch einmal stark. „Anders als bei den jungen Erwachsenen folgen die Persönlichkeitsveränderungen bei den Senioren jedoch keinem typischen Reifungsmuster“, erklärt Specht. Vielmehr beobachteten Psychologinnen und Psychologen bei älteren Versuchspersonen im Verlauf von vier Jahren eine große Bandbreite von Persönlichkeitsveränderungen. Der Grund ist noch unklar, doch einige mögliche Erklärungen lassen sich bereits ausschließen. „Gesundheitsveränderungen, Großelternschaft und Renteneintritt scheinen eine überraschend kleine Rolle dabei zu spielen“, sagt Specht. 

Der Job macht sorgfältig, die Ehe macht verschlossen 

Einen starken Einfluss auf die Persönlichkeit hat außerdem der Berufseinstieg. „Erstaunlicherweise haben wir festgestellt, dass der Job die Persönlichkeit stärker verändert als familiäre Ereignisse“, sagt die Forscherin. So nimmt bei Personen um die 30 vor allem der Charakterzug der Gewissenhaftigkeit zu. Das hat nach Angaben der Psychologin mit den sozialen Erwartungen zu tun, denen wir dort ausgesetzt sind – wir passen unsere Persönlichkeit an die neue Rolle an, um sie bewältigen zu können. Denn im Job muss man pünktlich sein, sorgfältig, die Dinge, die man sagt, dass man sie tut, auch tatsächlich tun. Und diese Einstellung färbt auch auf andere Lebensbereiche ab. 

Doch auch die Familiensituation beeinflusst den Charakter: So führt die Ehe laut Specht mit der Zeit dazu, dass die Partner weniger offen für neue Erfahrungen sind.

Nicht sehr überraschend: Die Partner werden auch weniger gesellig. Verblüffend wirkt auf den ersten Blick allerdings folgendes Ergebnis: Nach der Geburt eines Kindes nimmt die Gewissenhaftigkeit junger Eltern eher ab. Aber weshalb? „Wir erklären das bisher so: Junge Eltern wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen und müssen sich erst in die neue komplexe Rolle einfinden“, sagt die Psychologin. 

Machen Krisen stärker? 

Auch andere Ereignisse können den Charakter beeinflussen, allerdings nicht immer zum Guten. Die Idee, man müsse erst einmal Schweres durchmachen, um stark zu werden, ist weit verbreitet. Doch die Forschung deutet in die entgegengesetzte Richtung: Individuen, die Schlimmes erlebt haben, wie zum Beispiel eine schwere Krankheit, den Tod einer nahestehenden Person, sind danach in der Regel nicht resilienter und selbstbewusster, sondern eher sorgenvoller, verletzlicher und ängstlicher. Auch ihr allgemeines Wohlbefinden sinkt.  

Glückspilze, die es im Leben immer leicht hatten, haben hingegen im Schnitt auch ein höheres Wohlbefinden und können sich daher besser auf Herausforderungen und veränderte Lebensumstände einstellen. Eine Eigenschaft, die sich vermutlich viele wünschen. 

Incredible Me

Kann man seinen Charakter aktiv verändern?

Welche Lebenserfahrungen können unseren  Charakter prägen? Können wir unser Schicksal auch selbst in die Hand nehmen und aktiv an unserer Persönlichkeit arbeiten? Denn ob erfolgreicher, lustiger oder schöner – die meisten Personen würden vermutlich sofort die eine oder andere Sache einfallen, die sie gerne an sich ändern würden. 

Wunsch nach Entspanntheit, Sorgfalt und Aufgeschlossenheit 

Dass der Wunsch nach Veränderung der eigenen Persönlichkeit weit verbreitet ist, spiegelt sich unter anderem in den hohen Verkaufszahlen von Selbsthilfebüchern wider.

Im Jahr 2021 beispielsweise erwirtschafteten die Anleitungen zum Organisierter-, Gelassener- oder Beliebterwerden allein in Deutschland mehr als 700 Millionen Euro. Auch Studien belegen, dass die sich meisten Teilnehmenden am liebsten in allen fünf Persönlichkeitsdimensionen des OCEAN-Modells etwas an sich ändern würden. „Für jede Dimension hegen weniger als 13 Prozent der Teilnehmer den Wunsch, so zu bleiben, wie sie jetzt sind“, berichten die Persönlichkeitspsychologen Nathan Hudson und Chris Fraley von der University of Illinois.  

Dabei scheinen allerdings einige Charakterzüge beliebter zu sein als andere. So wären fast alle Menschen gerne gewissenhafter, extravertierter und emotional stabiler, einige wünschen sich auch mehr Offenheit für neue Erfahrungen. Laut der Forscher sind dies auch Eigenschaften, die im Allgemeinen sozial erwünscht und mit Erfolg und Ansehen assoziiert sind. Nur der Hang zur Verträglichkeit scheint für viele ein zweischneidiges Schwert darzustellen: Während einige Individuen gerne mehr auf ihre Mitmenschen eingehen würden, wünschten sich sechs Prozent der Teilnehmenden sogar eine niedrigere soziale Verträglichkeit.  

Offener werden durch Auslandsjahr 

Um sich den Wunsch nach mehr persönlicher Offenheit, Geselligkeit oder Sorgfalt zu erfüllen, nutzen Menschen unterschiedliche Strategien. Einige begeben sich beispielsweise in Situationen, die die gewünschten Eigenschaften automatisch fördern. So könnte man hoffen, bei einem Auslandsaufenthalt etwa offener und verträglicher zu werden, da man dort häufig auf Leuten mit komplett anderen Lebensrealitäten trifft und mit ihnen klarkommen muss.  

Dass diese Strategie funktionieren kann, zeigt auch eine Studie von einem Team um Esther Niehoff von der Leuphana Universität in Lüneburg. Sie untersuchten ein Semester lang die Big-Five-Eigenschaften von 221 deutschen Studierenden. Das Ergebnis: „Der Aufenthalt im Ausland steigerte die Selbstwirksamkeit der Teilnehmenden. Des Weiteren führte eine hohe Anzahl der wöchentlichen sozialen Kontakte zur Entwicklung einer höheren Selbstwirksamkeit im Auslandsjahr.”

Allerdings kann, wenn man zu sehr gegen die eigene Natur handelt, auch ein gegenteiliger Effekt eintreten. Wenn sich beispielsweise eine verschlossen, schüchterne Person ins Ausland oder auch nur auf eine wilde Party zwingt, wird sie in der Stresssituation vermutlich in alte Verhaltensmuster zurückfallen und sich während dieser Erfahrungen drei Monate in ihr Zimmer verkrümeln oder bei der Party schweigend in der Ecke stehen, statt aufzublühen. Derartige negative Erfahrungen könnten der gewünschten Verhaltensänderung dann wiederum dauerhaft im Wege stehen. 

Eigenständiges Ändern der Persönlichkeit 

Doch was tut man dann als schüchterne Person, die gerne offener werden will? Laut Hudson und Fraley ist die beste Strategie ein konkreter Plan. In einer Studie aus dem Jahr 2015 ließen sie hierfür Studienteilnehmende ihre Big-Five-Eigenschaften bewerten und angeben, welche dieser Persönlichkeitsdimensionen sie gerne an sich ändern würden – ob sie etwa zugänglicher, kreativer oder flexibler werden wollten. Darauf basierend erarbeiten Teilnehmer gemeinsam mit den Forschern Pläne, um diese Eigenschaften gezielt zu stärken.  

Das Ergebnis: Es war zentral für den Erfolg, dass die Teilnehmenden sich realistische und konkret überprüfbare Verhaltensweisen als Ziel setzten, beispielsweise „Ich lächle und lache mit anderen.“ oder „Ich mische mich bei sozialen Events unter die Leute“, wenn man extravertierter werden wollte.

Waren die selbst gesteckten Ziele konkret genug und blieben die Teilnehmenden am Ball, ließen sich tatsächlich Erfolge verzeichnen. „Es zeigte sich, dass Personen, die das Ziel formulierten, sich in Bezug auf eine der Big-Five-Persönlichkeitseigenschaften zu verbessern, in den darauf folgenden 16 Wochen eine tatsächliche Verbesserung ihrer Selbsteinschätzungen zu dieser Eigenschaft sowie ihres täglichen Verhaltens erfuhren“, berichten die Forscher. Die Änderungen der Eigenschaften blieben allerdings trotzdem eher moderat. Auch, ob längerfristige Bemühungen die Eigenschaften der Personen stärker ändern würden oder ob mit der Zeit abnehmender Grenznutzen auftreten würden, ist noch nicht abschließend geklärt. 

Die liebevolle Spinne und neugierige Kohlmeise

Haben Tiere individuelle Eigenschaften?

Die Persönlichkeit von Menschen ist vielschichtig, differenziert und erst in Teilen entschlüsselt. Doch wie steht es um die Persönlichkeit unserer tierischen Kollegen? Gerade Haustierbesitzer beschwören gerne mal die Individualität ihrer eigenen Tiere: Der Dackel ist eine „feine Dame“, die Katze eine „ganz Clevere“ und sogar das Meerschweinchen soll „neugierig, aber launisch“ sein.  

Neugierige Kohlmeisen

Möglicherweise ist tatsächlich etwas dran an der Vorstellung der tierischen Persönlichkeiten. Bei verschiedenen Tierarten scheinen Individuen tatsächlich unterschiedliche Charaktermerkmale an den Tag zu legen. So haben Wissenschaftler bei Meisen beispielsweise ein „Neugier-Gen“ entdeckt, also eine Genvariante, die dafür sorgt, dass einige der blaugelben Vögel ein deutlich ausgeprägteres Erkundungsverhalten an den Tag legen als ihre ängstlicheren Artgenossen – sie sind mutiger.  

In dichten Populationen sind die draufgängerischen Meisen allerdings eher benachteiligt, da sie Änderungen im sozialen Umfeld sowohl schlechter vorhersehen und schlechter damit umgehen, wie Studien ergaben. Im engen Zusammenleben kann das zu Problemen führen. Das Interessante jedoch: „Unsere Daten zeigen, dass Kohlmeisen je nach Brutdichte verschiedene Verhaltensmerkmale von Jahr zu Jahr ändern“, sagt Marion Nicolaus vom Max-Planck-Institut für Ornithologie. Demnach scheinen sich die Charakterzüge der Tiere an die individuellen Überlebenschancen anzupassen.  

Arbeitsteilung bei Spinnen 

Auch bei anderen Tieren gibt es Persönlichkeitstypen. Bei sozialen Spinnen beispielsweise spezialisieren sich die verschiedenen Individuen in einer Gruppe auf unterschiedliche Aufgaben. Die achtbeinigen Arthropoden bauen Gemeinschaftsnetze, in denen sie gemeinsam Nachwuchs großziehen und jagen. Der Clou daran: Es gibt aggressivere Spinnen, die den Netzbau und die Beutejagd übernehmen, sowie sanftere Exemplare, die den Nachwuchs pflegen. Die ‚Berufswahl‘ der Spinnen scheint also, wie bei vielen Menschen, charakterabhängig zu sein. 

Ob die Spinnen dabei instinktiv ihrem Talent folgten, prüften die Wissenschaftler, indem sie die Tiere verschiedene Aufgaben erledigen ließen. Das Ergebnis: Die sanften Spinnen waren schlechtere Jägerinnen, konnten aber gut viele Jungtiere versorgen. Bei diesem Punkt haperte es hingegen bei ihren aggressiven Artgenossen. „Unsere Ergebnisse demonstrieren den bisher vielleicht klarsten Fall einer Verbindung zwischen der Fähigkeit des Individuums und seiner Spezialisierung auf eine Aufgabe“, bemerken Jonathan Pruitt ehemals an der University of Pittsburgh und seine Kollegen.