Die Amygdala ist eine mandelförmige Hirnstruktur, die für die emotionale Bewertung von Situationen eine wichtige Rolle spielt. Genau in dieser Gehirnregion haben Forscher nun eine mögliche Erklärung für die oft rätselhaften Launen und Stimmungsschwankungen von Teenagern entdeckt. Bestimmte Neuronen dort beginnen überraschenderweise erst in dieser Phase des Lebens vollständig auszureifen. Sie könnten daher entscheidend an den emotionalen Entwicklungen während der Pubertät beteiligt sein. Möglicherweise mischen sie auch bei der Entstehung einiger psychischer Erkrankungen mit, wie das Team vermutet.
Aus Sicht Erwachsener sind Teenager oft merkwürdig agierende Wesen: Sie gehen unnötige Risiken ein, sind impulsiv und scheinen in vielen Dingen beratungsresistent zu sein. Auch die Laune der Jugendlichen ist unberechenbar. So sind sie häufig leicht reizbar, haben regelmäßig Wutausbrüche oder brechen wegen Banalitäten in Tränen aus. Mit dem Ende der Pubertät zeigen die meisten Jugendlichen dann weitestgehend normale emotionale Reaktionen. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären? Klar ist, dass das Gehirn Heranwachsender einer Baustelle gleicht. Das Denkorgan erfährt in der Phase der Pubertät drastische Umstrukturierungen – und das macht sich im Verhalten bemerkbar.
Shawn Sorrells von der University of California in San Francisco und seine Kollegen könnten nun herausgefunden haben, welche Besonderheit des Teenager-Gehirns für das seltsame emotionale Verhalten der Heranwachsenden verantwortlich ist: Bestimmte Neuronen in der Amygdala beginnen offenbar erst jetzt zu reifen – dieser Hirnbereich spielt eine entscheidende Rolle bei der emotionalen Bewertung von Situationen. Schon frühere Studien hatten gezeigt, dass die Amygdala anders als andere Regionen des Denkorgans in der Phase der Jugend weiter wächst. Jüngst entdeckten Forscher dann eine Gruppe unreifer Neuronen in der sogenannten PL-Region dieses Hirnbereichs (engl.: paraliminar nuclei). Was hat es mit diesen Neuronen auf sich?
Späte Zellreifung
Um diese Frage zu beantworten, untersuchten Sorrells und sein Team Gewebeproben 49 Verstorbener – vom Fötus bis hin zum betagten Senior. Mithilfe molekularer und genetischer Methoden analysierten sie dabei die Zahl und den Reifegrad der Neuronen in der Amygdala sowie deren potenzielle Funktion für bestimmte Hirnschaltkreise. Das überraschende Ergebnis: Ein großer Teil der Neuronen in der PL-Region bleibt die gesamte Kindheit über in einem unreifen Zustand. Erst im Jugendalter nimmt die Zahl der unreifen Zellen dann rapide ab. Von der Geburt bis zum Alter von 13 Jahren sinkt der Anteil der unreifen Neuronen demnach von 90 auf rund 70 Prozent. Mit dem Ende der Adoleszenz jedoch verbleiben nur noch 20 Prozent unreife Zellen in der PL-Region.
Wie die Wissenschaftler feststellten, werden die unreifen Neuronen im Zuge dieser Reifungsphase durch voll entwickelte erregende Neuronen ersetzt. „Die meisten anderen Gehirnzellen sind schon zum Zeitpunkt der Geburt weit über das Stadium der unreifen Neuronen in der PL-Region hinaus entwickelt“, erklärt Sorrells. „Es ist faszinierend zu sehen, dass dies einige der allerletzten Zellen sind, die im menschlichen Gehirn ausreifen. Und die meisten von ihnen tun dies in der Pubertät – genau dann, wenn gravierende Entwicklungen in Bezug auf die emotionale Intelligenz stattfinden.“
Rolle für emotionale Entwicklungen?
Welche Funktion diese Spätentwickler unter den Neuronen genau erfüllen, wissen die Forscher zwar noch nicht. Allein schon das Timing ihrer Reifung lässt jedoch vermuten, dass sie eine wesentliche Rolle für die emotionalen Veränderungen während der Pubertät spielen – und an wichtigen Schaltkreisen zur emotionalen Bewertung von Situationen beteiligt sind. „Jeder, der schon einmal mit einem Teenager zu tun hatte, weiß: In dieser Phase durchlaufen Kinder einen rasanten und manchmal turbulenten Prozess emotionalen Lernens“, sagt Sorrells. Wie reagiere ich auf Stress, wie baue ich soziale Bindungen auf? All dies lernten Jugendliche in dieser Zeit neu und womöglich mithilfe der nun untersuchten Stimmungsneuronen. Interessant auch: In der Jugend manifestieren sich viele psychische Erkrankungen, für die die Amygdala nachweislich eine Rolle spielt – zum Beispiel Schizophrenie oder die bipolare Störung.
„Es scheint naheliegend, dass diese Erkrankungen durch Fehler in der emotionalen und kognitiven Entwicklung entstehen – ob die Zellen in der PL-Region daran beteiligt sind, ist allerdings eine Frage für künftige Studien“, konstatiert der Wissenschaftler. Auch ein weiterer Aspekt bedarf genauerer Klärung: Warum reifen nicht alle Neuronen der PL-Region im Laufe der Pubertät aus? So zeigten die Analysen, dass selbst im Gehirn 77-Jähriger noch einige unreife Zellen vorhanden waren. „Wir glauben, dass sie sich seit der Geburt in diesem Zustand befinden“, erklärt Sorrells Kollege Arturo Alvarez-Buylla. Womöglich, so die Vermutung des Teams, nutze das Gehirn diese Peter-Pan-Zellen, um sie bei Bedarf zu rekrutieren und so auch im Alter in Bezug auf emotionale Reaktionen flexibel und anpassungsfähig zu bleiben.