Home MedizinPraxistest für 1.800 Jahre alte Sezier-Anleitung
Praxistest für 1.800 Jahre alte Sezier-Anleitung

Praxistest für 1.800 Jahre alte Sezier-Anleitung

Moderne Rekonstruktion prüft Vorgaben des antiken Arztes Galenos

Antikes Tutorial: Forschende haben erstmals eine Sezierung nach der genauen Anleitung des berühmten griechischen Arztes Galenos von Pergamon durchgeführt. Dieser hatte das entsprechende Manuskript bereits im zweiten Jahrhundert nach Christus aufgesetzt. Danach ist es allerdings unzählige Male handschriftlich kopiert worden, wobei sich Fehler einschlichen. Der Praxistest erlaubt es nun, zumindest einige der ursprünglichen Formulierungen zu rekonstruieren.

Der griechische Anatom Galenos von Pergamon gilt als einer der bedeutendsten Ärzte der Antike. Eines seiner Werke – das 15 Bücher umfassende „Über die Verfahrensweisen beim Sezieren“ – wurde sogar noch bis in die Renaissance hinein als wichtiger Leitfaden für das Sezieren verwendet. Doch es gibt ein Problem: Nachdem Galenos seine Schriften im zweiten Jahrhundert nach Christus verfasst hat, sind diese zunächst über 14 Jahrhunderte lang handschriftlich kopiert worden.

Kopierfehler führten schließlich dazu, dass es heute mehrere Varianten von Galenos‘ Werken gibt. Doch welche sind korrekt? Um das herauszufinden, hat ein interdisziplinäres Team um Andres Pelavski von der Hebräischen Universität Jerusalem nun eine der Sezieranleitungen des antiken Arztes einem Praxistest unterzogen. In insgesamt 95 Schritten sezierten die Forschenden die Bauchwand, Bauchhöhle und Bauchorgane eines zuvor aus anderen Gründen eingeschläferten Schweins so, wie von Galenos vorgesehen.

Nach wie vor ein gutes Tutorial

Das Ergebnis: „Von den Schritten konnten 66 zufriedenstellend ausgeführt oder visualisiert werden, 20 wurden teilweise abgeschlossen, und neun blieben unerreicht“, berichten Pelavaski und seine Kollegen. Wenn sie einen der 95 Schritte nicht durchführen konnten, lag es meistens daran, dass sie ein von Galenos beschriebenes Element nicht fanden oder es zumindest nicht genau so sahen wie beschrieben. In anderen Fällen war es wiederum technisch zu schwierig, eine bestimmte Handlung so auszuführen wie von Galenos gefordert.

Probleme bereitete auch das Wort „kolon“. In manchen Varianten ist das erste O als langes Omega dargestellt, was den Dickdarm bezeichnet, in anderen als kurzes Omikron, was „ein Teil, eine Komponente“ bedeutet. Durch die Nachstellung von Galenos‘ Sezierung fanden Pelavski und sein Team allerdings heraus, dass die zweite Version die richtige sein muss. Gemeint war wahrscheinlich der Zwölffingerdarm, den Galenos als zusätzliche „Komponente“ des Magens beschreibt.

Nichts für Schaulustige und Laien

Die Forschenden konnten aber nicht nur Klarheit in einige Formulierungen der antiken Anleitung bringen, sondern auch neue Einblicke in die Umstände gewinnen, unter denen die Schrift einst entstanden sein muss. So gehen Pelavski und seine Kollegen zum Beispiel davon aus, dass es sich zumindest bei den von ihnen erprobten Abschnitten wahrscheinlich nicht um die Verschriftlichung einer von Galenos‘ spektakulären Live-Vorführungen gehandelt hat, die immer wieder in den öffentlichen Bädern Roms stattfanden. Dafür seien die Ergebnisse schlicht nicht beeindruckend genug gewesen.

„Auch die Menge an Licht, die für die Betrachtung der Details erforderlich ist, sowie die Flüssigkeiten und Gerüche, die von dem Tier und seinen Eingeweiden ausgehen, lassen vermuten, dass die öffentlichen Bäder nicht der ideale Ort für diese spezielle Sezierung waren, während eine Bibliothek oder ein Tempel nur dann in Frage kommen könnten, wenn die Sezierung in einer offenen Halle oder einem hellen, gut belüfteten Auditorium innerhalb solcher Komplexe durchgeführt wurde“, schreiben die Wissenschaftler.

Pelavski und sein Team gehen außerdem davon aus, dass Galenos‘ Werk nicht für Laien, sondern für andere Ärzte, Studenten und Personen mit anatomischen Grundkenntnissen bestimmt war. „Angesichts des technischen Niveaus, das für das Verfahren erforderlich ist, sind wir geneigt anzunehmen, dass Galenos gewisse Vorkenntnisse voraussetzte“, heißt es in der Studie. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2024; doi: 10.1073/pnas.2416336121

Quelle: Proceedings of the National Academy of Sciences