Zunehmend zeigt sich, dass Bauch und Gehirn erstaunlich eng miteinander verknüpft sind. Diese Verbindung könnte auch für Erkrankungen wie Parkinson eine Rolle spielen. So vermuten einige Mediziner: Für die Krankheit typische, fehlgefaltete Proteine entstehen womöglich im Magen-Darm-Trakt und breiten sich von dort dann bis ins Gehirn aus. Nun gibt es erstmals einen Beleg für diesen Verbreitungsweg: Forscher haben Mäusen die schädlichen Proteine in den Bauchraum injiziert. Wochen später waren diese auch im Gehirn der Nager nachweisbar – mit spürbaren gesundheitlichen Folgen.
Krankhafte Ablagerungen des Proteins Alpha-Synuclein scheinen eine Schlüsselrolle für die Parkinson-Krankheit zu spielen. Interessanterweise finden sich diese Ablagerungen nicht nur im Gehirn betroffener Patienten, sondern mitunter auch in den Nervenzellen ihres Verdauungstrakts. Zu dieser Beobachtung passt, dass Parkinson oftmals mit Magen-Darm-Beschwerden einhergeht. Oft zeigen sich diese unspezifischen Symptome bereits Jahre bevor die neurodegenerative Erkrankung anhand ihrer typischen Merkmale wie zittrigen Händen und verlangsamten Bewegungen diagnostiziert werden kann. In diesem Zusammenhang veröffentlichten der Neuroanatom Heiko Braak und seine Arbeitsgruppe schon im Jahr 2003 eine spannende Hypothese: Parkinson, so ihre Idee, nimmt möglicherweise sogar im Bauchraum seinen Anfang und wandert von dort nach oben ins Gehirn.
Braaks Theorie zufolge können schädliche Umwelteinflüsse über die Schleimhaut des Verdauungsstrakts auf örtliche Nervenzellen einwirken und bei den dort vorhandenen Alpha-Synuclein-Proteinen krankhafte Veränderungen auslösen. Diese breiten sich in der Folge dann wie ein Keim über den Vagusnerv aus – eine große Nervenbahn, die vom Magen-Darm-Trakt bis zur Basis des Gehirns verläuft. Analysen von Hirngewebe Verstorbener führten den Mediziner außerdem zur Beschreibung der genauen Abfolge, in der die fehlgefalteten Alpha-Synuclein-Proteine in den unterschiedlichen Regionen des Denkorgans auftauchen. Bisher jedoch fehlte ein handfester Beleg für diesen Verbreitungsweg. Aber das hat sich nun geändert.
Vom Bauch in den Kopf
Wissenschaftler um Sangjune Kim von der Johns Hopkins University in Baltimore haben zum ersten Mal am Tiermodell gezeigt, dass fehlgefaltetes Alpha-Synuclein tatsächlich über den Vagusnerv ins Gehirn wandern kann – und sich dort in ähnlicher Weise ausbreitet, wie von Braak postuliert. Um dies zu belegen, injizierten die Forscher Mäusen Proteinfibrillen fehlerhafter Alpha-Synuclein-Proteine in das Muskelgewebe von Dünndarm und Magenausgang. Spritzten sie den Nagern relativ hohe Dosen von 25 Mikrogramm, zeigten sich bereits nach einem Monat die ersten Effekte. So offenbarte der Blick ins Gehirn: Nach vier Wochen hatten die fehlgefalteten Proteine den unteren Teil des Hirnstamms erreicht.
Nach drei Monaten ließ sich das Alpha-Synuclein dann unter anderem auch im Locus caeruleus des Hinterhirns sowie in der Substantia nigra nachweisen – jenem Teil des Gehirns, der bei Parkinson typischerweise vom Zelluntergang betroffen ist. Nach sieben Monaten fanden die Wissenschaftler sogar Alpha-Synuclein-Ablagerungen in weiteren Gehirnregionen wie dem Hippocampus. Außerdem zeigte sich in der Substantia nigra nun auch der charakteristische Verlust der Dopamin-produzierenden Nervenzellen. Dass die fatale Ausbreitung der Proteine wirklich über den Vagusnerv stattfand, bestätigte ein zweites Experiment: Bei Mäusen mit einem durchtrennten Vagusnerv passierte nach der Injektion des Proteins in den Darm im Gehirn – gar nichts.
Parkinson-typische Symptome
Wie die Forscher berichten, lösten die Veränderungen im Gehirn betroffener Mäuse viele der für Parkinson typischen Symptome aus. So offenbarte sich, dass die Nager beispielsweise beim Nestbau motorische Schwierigkeiten hatten. Außerdem zeigten viele von ihnen Zeichen von Angststörungen, Depressionen, kognitiven Einschränkungen und Riechstörungen – Merkmale, die ebenfalls für Parkinson-Patienten charakteristisch sind. „Diese Ergebnisse liefern einen weiteren Beleg für die Rolle des Magen-Darm-Trakts bei Parkinson und geben uns ein Modell, um die Entstehung und Entwicklung der Erkrankung in Zukunft genauer zu erforschen“, konstatiert Kims Kollege Ted Dawson.
Doch was bedeuten die nun präsentierten Erkenntnisse konkret für die Praxis? „Es bleibt unklar, ob und was sich aus diesem Grundlagen-Paper für Patienten ableiten lässt“, kommentiert Anja Schneider vom Universitätsklinikum Bonn. „Selbstverständlich kann man sich vorstellen, dass Nahrung, Entzündungsprozesse oder das Mikrobiom im Darm zu einer lokalen Aggregation von Alpha-Synuclein-Fibrillen im Verdauungstrakt führen und es dann von dort aus zu einer Verbreitung kommen kann. Genau diese Hypothese wird bereits länger diskutiert und bleibt damit ein möglicher Ausbreitungsweg, der nun in dem aktuellen Mausmodell auch bestätigt wird.“ Wie Walter Schulz-Schaeffer vom Universitätsklinikum des Saarlandes betont, bedeuten die Ergebnisse nicht, dass Parkinson zwangsläufig im Magen-Darm-Trakt entstehen muss: „Sie zeigen aber, dass die Krankheit den Magen-Darm-Trakt mit einbeziehen kann.“
Übertragbar auf den Menschen?
Gelingt es in weiteren Studien, die Rolle des Bauchraums für Parkinson auch beim Menschen genauer nachzuvollziehen, könnten sich dadurch künftig bessere Möglichkeiten für Therapie und Früherkennung ergeben. Forscher untersuchen derzeit bereits, wie verlässlich sich Parkinson anhand von Biopsien der Nerven im Darm diagnostizieren lässt. Das Team um Kim plant nun, Untersuchungen mit Primaten durchzuführen. Sie sollen zeigen, ob sich die Beobachtungen mit anderen Tieren wiederholen lassen – und ob die Ausbreitung des Alpha-Synucleins über den Vagusnerv womöglich mithilfe spezieller Behandlungsmethoden verhindert werden kann.