Studie hat Standardtherapie mit hochdosierten Cortisonpräparaten überprüft
Plötzlich hört man kaum noch etwas, alles klingt verzerrt und es rauscht und klingelt im Ohr – ein Hörsturz. In solchen Fällen verabreichen Ärzte oft eine Infusion mit hochdosierten Cortisonwirkstoffen wie Prednisolon. Doch wie nun eine Studie zeigt, bringt diese Hochdosis-Behandlung nicht mehr als die Standardtherapie mit niedriger dosierten Tabletten. Allerdings: Auch die Standardtherapie hilft meist kaum – gezieltere Wirkstoffe gegen Hörsturz werden dringend gebraucht, wie die Forschenden betonen.
Es kann fast jeden treffen: Bei einem Hörsturz tritt plötzlich und oft ohne erkennbaren Grund ein Hörverlust ein – als hätte man Ohrstöpsel oder Watte im Ohr. Grund dafür ist ein Ausfall der Haarzellen im Innenohr, die normalerweise die Schwingungen des Schalls in Nervenreize umwandeln. Was diese Funktionsstörung der Haarzellen verursacht, ist bisher erst in Teilen geklärt, so können Durchblutungsstörungen, Virusinfektionen, Autoimmunreaktionen, aber auch Lärm und Stress verantwortlich sein.
Meist hält ein Hörsturz nach ein paar Stunden bis Tagen von alleine wieder weg. Er kann aber oft einen Tinnitus und in manchen Fällen auch eine bleibende Schwerhörigkeit nach sich ziehen.
Was bringt die Hochdosis-Therapie?
Um diesen Folgen eines Hörsturzes vorzubeugen, verabreichen Mediziner häufig hochdosierte Cortison-Präparate. Die oft mittels Infusion verabreichten Glucocorticoide sollen entzündungshemmend wirken und die Durchblutung des Innenohrs anregen. „Bisher hat man vermutet, dass eine sehr hohe Dosis von Glucocorticoiden über einen kurzen Zeitraum insgesamt besser wirkt“, erklärt Studienleiter Stefan Plontke von der Universitätsmedizin Halle.
Doch stimmt das auch? Das haben Plontke und sein Team nun näher untersucht. Dafür verabreichten die Forschenden einem Teil ihrer 325 von einem akuten Hörsturz betroffenen Testpersonen fünf Tage lang eine tägliche Hochdosis-Infusion mit Prednisolon oder hochdosierten Tabletten mit Dexamethason – beides gängige Glucocorticoide. Die Kontrollgruppe erhielt dagegen die Standardtherapie mit Prednisolon-Tabletten, die nur ein Fünftel der täglichen Dosis enthielten. Nach 30 Tagen wurde der Zustand des Gehörs bei allen Patienten gründlich untersucht.
Keine vollständige Besserung
Das Ergebnis: „Eine höhere Dosis von Glucocorticoiden zeigte keine besseren Therapieerfolge gegenüber der Standardtherapie“, berichtet Plontke. In beiden Gruppen hatte sich die Hörleistung nach 30 Tagen um rund 35 bis 40 Dezibel verbessert – die hochdosierte Prednisolon-Infusion erbrachte dabei sogar leicht schlechtere Werte als die beide anderen Therapien. Dafür traten Nebenwirkungen wie beispielsweise erhöhte Blutzuckerwerte oder eine Verschlechterung des Bluthochdrucks bei den beiden Hochdosistherapien häufiger auf.
Allerdings: Trotz sofortiger Therapie mit Glucocorticoiden bestanden in allen Gruppen bei den meisten Personen weiterhin Defizite. Selbst in der Gruppe, die nach 30 Tagen am besten abgeschnitten hatte, der normaldosierten Standardtherapie, war bei 60 Prozent der Personen keine vollständige Besserung eingetreten. „Obwohl diese Medikamente seit 50 Jahren weltweit in der Hörsturz-Erstbehandlung zum Einsatz kommen, gibt es keinen belastbaren wissenschaftlichen Beweis für die Wirksamkeit“, sagt Plontke.
Wirksamere Medikamente dringend nötig
Nach Ansicht der Mediziner besteht hier dringend weiterer Forschungsbedarf. „Aktuell gibt es kein Medikament, das spezifisch für die Hörsturz-Therapie zugelassen ist. Wir brauchen dringend mehr belastbare Daten, um Hörsturz-Betroffene wirksam zu behandeln“, betont Stephan Lang, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie. Neue medikamentöse Therapiemöglichkeiten bei Hörsturz würden dringend benötigt.
Auch die Frage, ob die Therapie mit Glucocorticoiden überhaupt wirkt oder die Besserungen auch ohne eingetreten wären, ist bislang nur unzureichend untersucht, wie die Forschenden erklären. Daher seien auch weitere Studien nötig, die beispielsweise ein Abschneiden der Cortison-Präparate gegenüber einem Placebo testen. (New England Journal of Medicine (NEJM), 2024; doi: 10.1056/EVIDoa2300172)
Quelle: Universitätsmedizin Halle