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Impfung: Salbe statt Spritze?

Impfung: Salbe statt Spritze?

Gängiges Hautbakterium könnte sich als Impfstoff eignen

Neuer Impfansatz: Bislang müssen Impfstoffe meist gespritzt werden, um ihre Wirkung zu entfalten. Doch künftig könnte stattdessen eine bakterienhaltige Creme als Vakzin dienen, die einfach auf die Haut aufgetragen wird. Möglich wird dies durch manipulierte Hautbakterien, die dem Immunsystem die Impf-Antigene präsentieren. Im Test bildeten Mäuse dadurch die gewünschten Antikörper, wie das Team in „Nature“ berichtet. Schon in wenigen Jahren könnte eine solche Impfsalbe gegen Grippe und Co auch beim Menschen erprobt werden.

Auf unserer Haut leben verschiedenste, größtenteils für uns harmlose Mikroben. Zu ihnen gehört Staphylococcus epidermidis, eine Bakterienart, die bei praktisch jedem Menschen auf Haut und Schleimhaut vorkommt. Vor kurzem haben Forschende entdeckt, dass diese Bakterienart eine antibakterielle Substanz produziert und damit sich und indirekt auch uns vor anderen Keimen schützt. Zudem gab es erste Hinweise darauf, dass das menschliche Immunsystem auf bestimmte Oberflächenmerkmale dieses Hautbakteriums reagiert und Antikörper dagegen bildet.

Wie reagiert das Immunsystem auf das Hautbakterium?

Ein Team um Djenet Bousbaine von der Stanford University hat dieses Phänomen nun genauer untersucht. Die Biomediziner wollten herauszufinden, wie stark und in welcher Form das Immunsystem auf Staphylococcus epidermidis reagiert und ob sich das möglicherweise nutzen lässt. Dafür applizierten sie die Bakterien mit einem Wattestab auf das Kopffell von Mäusen, deren Haut normalerweise nicht mit S. epidermidis besiedelt ist, und untersuchten in Blutproben, ob und wie das Immunsystem der Tiere darauf reagierte.

Es zeigte sich: Die Mäuse bildeten ebenfalls Antikörper gegen das Hautbakterium und das sogar sehr effektiv. Die Abwehrmoleküle banden spezifisch nur an Staphylococcus epidermidis und keine anderen Hautbakterien. Nach sechs Wochen hatten diese Antikörper eine höhere Konzentration erreicht, als für eine reguläre Impfung gegen einen Krankheitserreger typisch ist. „Es ist, als wären die Mäuse geimpft worden“, sagt Seniorautor Michael Fischbach von der Stanford University.

Präventive Immunreaktion auch bei uns Menschen

Auch in menschlichen Blutproben fand das Team hohe Konzentrationen von Antikörpern gegen dieses Hautbakterium – vergleichbar mit dem Antikörper-Niveau nach einer Impfung. Das ist ungewöhnlich. Denn normalerweise produziert unser Immunsystem Antikörper nur gegen Krankheitserreger und dies erst, nachdem diese in unseren Körper eingedrungen sind. Doch beim harmlosen Hauptbakterium S. epidermidis erfolgt diese Reaktion offenbar schon bei dessen bloßer Präsenz auf unserer Haut.

Bousbaine und ihre Kollegen vermuten, dass diese Abwehrreaktion der Vorbeugung dient: Auf diese Weise kann das Immunsystem schneller reagieren, wenn die Haut verletzt wird und das Bakterium in unseren Blutkreislauf gelangt. Genau diese präventive Wirkung ließe sich vielleicht für einen Impfstoff nutzen, so die Idee der Forscher.

Dafür müsste man die Hautbakterien mit den Merkmalen ausstatten, an denen unser Immunsystem den jeweiligen Krankheitserreger erkennt. Bildet das Immunsystem dann auch wirksame Antikörper gegen diese Antigene, hätte man das Rezept für einen Impfstoff, der als Hautsalbe anwendbar wäre. Das könnte die klassische Impfspritze, die viele Menschen wegen der Schmerzen beim Einstich fürchten, ersetzen.

Der Kontakt mit dem bakteriellen Aap-Protein alarmiert das Immunsystem und sorgt für die Produktion von zweierlei Antikörpern. © Love Employee/iStock

Zwei Sorten Antikörper als Immunantwort

Doch dafür muss zuerst bekannt sein, auf welchen Teil des Bakteriums unser Immunsystem genau reagiert. Wie Bousbaine und ihr Team herausfanden, richten sich die Antikörper gegen ein Protein namens Aap, das auf der Oberfläche von Staphylococcus epidermidis sitzt. Es ist fünfmal so groß wie ein durchschnittliches Protein und baumartig geformt. Dadurch kommt es häufig mit Wächter-Immunzellen in Kontakt, wie eine begleitende Studie des Teams ergab. Diese lösen dann die Produktion von verschiedenen Antikörpern aus: solchen, die im Blut kursieren (IgG), und solchen, die in Schleimhäuten der Atemwege vorkommen (IgA).

„Gängige Atemwegserreger neigen dazu, durch unsere Nase in unseren Körper einzudringen. Bisherige Impfstoffe können dies nicht verhindern. Erst wenn der Erreger ins Blut gelangt, gehen sie an die Arbeit“, erklärt Fischbach. Die durch Kontakt mit dem Hautbakterium erzeugten IgA-Antikörper könnten die Erreger dagegen bereits in der Nase abfangen – sofern sie auf deren Merkmale programmiert sind.

Gentechnisch veränderte Bakterien als Impfhelfer

Um zu testen, ob dies möglich ist, wandelten Bousbaine und ihre Kollegen das Hautbakterium gentechnisch um. Sie ersetzten einen Teil des genetischen Codes für das bakterielle Aap-Protein durch die Bauanleitung für ein Stück des Tetanustoxins. Die Hautbakterien trugen dadurch einen Teil dieses Giftes als Antigen auf ihrer Oberfläche. Anschließend applizierten die Forschenden diese „Impfbakterien” sowie Staphylococcus epidermidis in unveränderter Form auf die Haut von Mäusen und verglichen die Immunreaktion der Tiere.

Tatsächlich bildeten die Mäuse, die mit gentechnisch verändertem Staphylococcus epidermidis infiziert wurden, auch hohe Konzentrationen von Antikörpern gegen das Tetanustoxin. In einem zweiten Experiment zeigte sich das Gleiche für modifizierte Hautbakterien, die einen Teil des Diphtherietoxins trugen.

„Impfbakterien” machen tödliche Gifte unschädlich

Das Entscheidende jedoch: Als die Forschenden den mittels Bakterientinktur „geimpften” Mäusen dann tödliche Dosen des jeweiligen Gifts injizierten, zeigten diese Tiere keinerlei Vergiftungssymptome. Die Kontrollmäuse starben hingegen. Für die Produktion von Antikörpern in lebensrettender Konzentration reichte es aus, die Mäuse zwei oder drei Mal zu behandeln.

Ergänzende Tests ergaben, dass auch eine vorher bestehende Besiedlung der Haut mit den normalen Vertretern von Staphylococcus epidermidis, wie sie bei uns typisch ist, die Impfwirkung nicht beeinträchtigt. Nach Ansicht des Teams belegen diese Versuche, dass sich das Hautbakterium als Impfstoff für Menschen gegen verschiedene Antigene eignet, wenn es entsprechend modifiziert wird.

Allerdings ist die gentechnische Manipulation von Bakterien aufwendig und umstritten. Deshalb prüften die Biomediziner auch eine alternative Herstellungsmethode für diesen Impfstoff-Typ und hefteten die gewünschten Impf-Antigene chemisch an das bakterielle Aap-Protein an. Es zeigte sich, dass auch diese auf die Haut aufgetragene Impfstoff-Variante bei Mäusen eine starke Antikörperantwort hervorrief und die Tiere vor einer Vergiftung schützte.

Wann kommt die Impfsalbe für Menschen?

Aber wirkt eine solche Impfsalbe auch beim Menschen? „Wir wissen, dass es bei Mäusen funktioniert. Als nächstes müssen wir zeigen, dass es bei Affen funktioniert“, sagt Fischbach. Sollte sich das bestätigen, könnte dieser neuartige Impfansatz schon innerhalb von zwei bis drei Jahren in klinischen Studien an Menschen getestet werden. Nützlich wäre eine solche Impfsalbe gegen virale Infektionen wie Grippe, Corona und Co., aber auch gegen nichtvirale Erreger: „Wir glauben, dass dies bei Viren, Bakterien, Pilzen und einzelligen Parasiten funktionieren wird“, sagt Fischbach.

Nebenwirkungen wie Fieber oder Hautrötungen erwarten die Forschenden nicht, da gängige Zusatzstoffe von Impfspritzen, die meist diese Entzündungssymptome auslösen, für die Salbe wahrscheinlich nicht nötig wären. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-08489-4 und doi: 10.1038/s41586-024-08376-y)

Quelle: Stanford Medicine