Home Geschichte und KulturAus welchen Gründen Magellan 1519 zu seiner Reise aufbrach. Und aus welchen nicht.
Aus welchen Gründen Magellan 1519 zu seiner Reise aufbrach. Und aus welchen nicht.

Aus welchen Gründen Magellan 1519 zu seiner Reise aufbrach. Und aus welchen nicht.

Syzygium aromaticum ist der Gewürznelkenbaum. Seine getrockneten Knospen sind heute für unter 20 Euro das Kilo zu haben. Im frühen 16. Jahrhundert, als die Bäume nur auf fünf kleinen Inseln der Molukken im heutigen Indonesien wuchsen, war die Spezerei erheblich kostspieliger. Eine Ladung von 24 Tonnen, die im September 1522 in der andalusischen Hafenstadt Sanlúcar de Barrameda aus dem Segelschiff „Victoria“ gelöscht wurde, erzielte am Gewürzmarkt in Antwerpen einen Kilopreis von etwa einem Golddukaten. Für einen solchen Dukaten konnte man sich damals eine sehr teure Hose schneidern lassen oder die Bestattungskosten für einen Menschen bestreiten. Die Ladung der Victoria war ein ausgesprochen stattliches Vermögen wert.

Das war die damalige Perspektive. Aus heutiger ist die Victoria das erste Schiff, das ganz um die Welt gesegelt ist. Am heutigen 20. September vor 500 Jahren war sie zusammen mit vier anderen Dreimastern aufgebrochen. Das Kommando über die spanische Expedition hatte der Portugiese Fernão de Magalhães, dessen Nachname man in seiner Muttersprache ungefähr wie „Magaljaisch“ ausspricht, was in mehreren europäischen Sprachen zu „Magellan“ wurde. Zwar kostete die Reise ihn und mehr als zweihundert seiner Männer sowie einer unbekannten Zahl von Einwohnern Patagoniens und Südostasiens das Leben (siehe „Die erste Weltumseglung ist immer die schwerste“). Dennoch wurde Magellan unsterblich. Eine Meeresstraße ist nach ihm benannt, zwei kleine Galaxien am Südhimmel, eine Sonde zur Venus, zwei Großteleskope, unzählige reale und fiktive Schiffe und Raumschiffe. Nach Kolumbus ist Magellan heute der bekannteste Seefahrer überhaupt. Sein Name steht für Aufbruch zu neuen Horizonten, Neugier, Entdeckergeist.

Ein Nachbau der „Victoria“ Foto: Funcación Nao Victoria

Man schmälert die nautische Leistung Magellans keineswegs, wenn man darauf hinweist, dass das Entdecken damals nichts mit Neugier zu tun hatte, auch nichts mit Fortschrittsdenken im heutigen Sinne oder gar mit Wissenschaft. Die ersten Forscher bereisten im 18. Jahrhunderts die Weltmeere, auf den Schiffen James Cooks und Louis Antoine de Bougainvilles. Wenn Leute wie Magellan ein idealistisches Motiv hatten, dann war es der Wunsch, den christlichen Glauben in die weite Welt zu tragen und so Teil der Heilsgeschichte zu werden. Ansonsten ging es um Ruhm, aber keineswegs um Forscherruhm. Magellan stammte aus niederem, wenig vermögendem Adel. Er war einer der vielen Ritter, für die es nach dem Abschluss der Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den Arabern in der Heimat kaum noch standesgemäße Tätigkeitsfelder gab und die es daher in die Ferne drängte. Mit einer königlichen Lizenz zum Erschließen neuer Territorien, Untertanen und Einnahmequellen für die Krone zogen sie los, um für sich und ihre Erben neue, höhere Titel zu erwerben – und, noch wichtiger, Reichtum.

Die begehrten Gewürznelken Foto: Picture-Alliance

Magellan war im Grunde also ein Conquistador – genau wie ein gewisser Hernán Cortés, ein anderer mittelloser Adliger, der im selben Jahr 1521, in dem Magellan auf den Philippinen umkam, im Hochland von Mexiko die mächtige Stadt Tenochtitlan eroberte, das Zentrum des Aztekenreiches. Cortés lockte Gold, Magellan Gewürznelken. Ihre Expeditionen unternahmen sie mit Erlaubnis, aber nicht im Auftrag der Krone. Es waren gewinnorientierte Privatinitiativen, und zumindest im Fall Cortés’ waren sie auch überwiegend privat finanziert. Beiden folgten ihre Leute nicht auf königlichen Befehl, sondern weil ihnen Anteile am Profit winkten. Im Falle Magellans waren es zudem lange nicht nur Spanier (siehe Interview). Seine Kosten trug zwar tatsächlich zum größeren Teil der spanische König, zu einem anderen aber der Handelsunternehmer Cristóbal de Haro.

Beide Investoren einte hier allerdings noch ein höheres Interesse als die Aussicht auf ein paar Tonnen Nelken. Es ging überhaupt um den Zugang zu den Molukken sowie zu den weiter südlich gelegenen Banda-Inseln, auf denen allein es damals die begehrten Muskatnüsse gab. Die fernen Gewürzarchipele waren bereits das eigentliche Ziel des Christoph Kolumbus gewesen, der sie auf der Seeroute nach Westen erreichen wollte. Dabei war er 1492 auf die Neue Welt gestoßen, was ihn berühmt machte, aber in der Sache erfolglos.

Kein Bild Magellans entstand zu Lebzeiten, dieses immerhin um 1600 herum. Foto: Mauritius

Erfolgreich war der Portugiese Vasco da Gama, der 1498 den Seeweg um Afrika in den Indischen Ozean fand. Damit hatte Portugal praktisch das Gewürzmonopol. Zuvor schon hatten Spanien und Portugal im Atlantik rivalisiert, was 1494 zum Vertrag von Tordesillas geführt hatte: Er definierte einen bestimmten Meridian und erklärte alles westlich davon zur spanischen und alles östlich zur portugiesischen Interessensphäre. Zu letzterer zählte Portugal nach 1498 auch den Indischen Ozean, wobei aber weder juristisch noch vermessungstechnisch geklärt war, ob die Gewürzinseln noch dazugehörten. Magellan, der vorher im Dienste seiner Heimat Portugal in Indien gewesen war, gewann die Unterstützung des spanischen Königs auch deswegen, weil dessen Berater – fälschlicherweise, wie wir heute wissen – glaubten, Molukken und Bandas könnten jenseits des Antimeridians von Tordesillas und damit in der spanischen Hälfte liegen. Und wenn man sie auf der Westroute ansteuerte, könnte Portugal nichts dagegen machen. Die Idee war also die gleiche wie die des Kolumbus, nur galt es jetzt, einen Weg um Amerika herum zu finden.

Auf Johann Schöners phantasievollem Globus von 1515 war die Passage um Amerika schon drauf. Jetzt musste man sie nur noch entdecken. Foto: AKG

Dass es einen solchen geben könnte, war bereits von Amerigo Vespucci erwogen worden. Er hatte kurz nach Kolumbus die Küsten Südamerikas erkundet und in seinem Reisebericht die Idee vertreten, es handele sich dabei keineswegs um Ausläufer Indiens, wie Kolumbus noch immer glaubte, sondern um eine den antiken Geographen gänzlich unbekannte Landmasse. Noch bevor der Conquistador Vasco Núñez de Balboa 1513 in Panama als erster Europäer den Pazifik zu Gesicht bekam, erschien dieses Meer bereits 1507 im Werk des Kartographen Martin Waldseemüller. Der orientierte sich an Vespucci, aus dessen latinisiertem Vornamen „Americus“ er auch gleich den Namen für jene Neue Welt machte. Auf einer kleinen Globuskarte deutete bereits Waldseemüller ein südliches Ende des Kontinentes an, und der Globus Johann Schöners schmückte 1515 detailliert eine Passage jenseits des 40. Breitengrades aus. Schöner wurde hierzu vermutlich durch einen in Augsburg veröffentlichen Bericht angeregt, demzufolge zwei Handelsschiffe nach Brasilien dort auf eine solche Durchfahrt gestoßen seien, sie wegen widriger Winde aber nicht hätten durchfahren können. Der Auftraggeber dieser Fahrt, die 1514 stattgefunden haben dürfte, wird namentlich genannt. Es ist Cristóbal de Haro, der Mann hinter der Fahrt des Fernando Magellan.

Die Taufe des Königs von Cebu Foto: Picture-Alliance

Dieser fand die Passage, wenn auch erst jenseits 52° Süd. Wahrscheinlich gedachte er, auch auf diesem Weg wieder zurückzukehren. Eine Weltumseglung um ihrer selbst willen, für die man riskiert hätte, von den Portugiesen auf dem Indischen Ozean aufgebracht und um die wertvolle Nelkenfracht erleichtert zu werden, passt vielleicht in unsere Zeit der Guinness-Buch-Rekorde und Warteschlangen am Mount Everest. Sie passt nicht in das sogenannte Zeitalter der Entdeckungen, das im Grunde nur das Zeitalter der beginnenden Globalisierung wirtschaftlicher und politischer Interessen war. Das Staunen über ferne Völker und Gestade war noch kein Motiv, sich beschwerliche Reisen anzutun.

Magellans Kreuz auf der philippinischen Insel „Cebu“ Foto: Picture-Alliance

Oder vielleicht doch? Mit Magellan fuhr auch ein Italiener namens Antonio Pigafetta. Er war einer der achtzehn, die mit der Victoria nach Europa zurückkehrten und dem wir den vielleicht nicht immer verlässlichsten, aber farbigsten Bericht über die Fahrt verdanken. Nachdem Magellan in Patagonien zwei Einheimische hatte entführen lassen, um sie in Europa als Kuriositäten zu zeigen, begann Pigafetta sich mit einem von ihnen zu beschäftigen. Er deutete auf Gegenstände und fragte ihn jeweils nach den Worten dafür in seiner Sprache. Das spanisch-patagonische Wörterbuch, das Pigafetta so zusammenstellte, umfasste 90 Einträge, aus denen Linguisten später schließen konnten, dass es sich um ein Idiom aus der Familie der Chon-Sprachen handelt. Pigafetta konnte für sein Wörterbuch kein Gold erwarten, keine Titel und damals nicht einmal Forscherruhm. Er hat sich für die Sprache, vielleicht auch für den Sprecher, einfach so interessiert, aus Neugier.

Literatur: Christian Jostmann, „Magellan oder Die erste Umsegelung der Erde“, Verlag C.H. Beck München 2019

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