Die Ölfarben in Gemälden großer Künstler wie Sandro Botticelli und Leonardo da Vinci enthalten oft außer Öl und Pigment zusätzlich Proteine, etwa aus Eidotter. Wie und warum die alten Meister ihren Farben allerdings Ei beimischten, war bislang unklar. Mit eigenen Experimenten haben Forschende nun nachgewiesen, dass die zugesetzten Proteine die Farben auf vielfältige Weise beeinflussen: Zum einen machen sie die Farbe fester und erleichtern so bestimmte Maltechniken. Zum anderen verhindern sie, dass sich beim Trocknen Risse und Falten bilden, die Farben vergilben oder Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen. Die Ergebnisse könnten auch hilfreich für die Erhaltung berühmter Kunstwerke sein.
Berühmte Maler der Renaissance haben ihre Farben üblicherweise selbst zusammengemischt. Um Ölfarben zu erhalten, versetzten sie zerstoßene Pigmente mit Öl als Bindemittel. Während die Kunstwissenschaft ursprünglich davon ausging, dass dies die einzigen Inhaltsstoffe der Farben waren, haben moderne Analysen zusätzlich Proteine in der Farbschicht der Bilder von Künstlern wie Sandro Botticelli, Leonardo da Vinci, Albrecht Dürer und Rembrandt nachgewiesen. Wie und warum die alten Meister jedoch diesen Zusatz verwendeten, war bislang unklar.
Farbherstellung nach altem Rezept
Ein Team um Ophélie Ranquet vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat nun anhand von eigenen Experimenten nachvollzogen, wie sich verschiedene Eiweißgehalte auf die Eigenschaften der Farben auswirken. „Um die Gemälde alter Meister, ihre Techniken und kunsthistorischen Entwicklungen besser zu verstehen, haben wir Ölfarben hergestellt und untersucht, in denen entweder die Pigmente komplett mit Proteinen ummantelt waren oder die nur eine geringe Menge an zugesetztem Eigelb enthielten“, berichtet das Team. „Unsere Forschungsarbeit ist ein proof of concept und zeigt, dass solche proteinhaltigen Bindemittel wichtige Zusatzstoffe sein können.“
Bei der Herstellung der Farben orientierten sich Ranquet und ihre Kollegen an einem überlieferten Rezept, das um 1300 in Italien aufgeschrieben wurde. Dabei wird das Pigment zunächst mit Ei und Wasser vermischt und in der Sonne getrocknet, bevor es mit Öl versetzt wird. „Dieses Rezept sorgt dafür, dass die Pigmente vollständig mit einer Proteinschicht ummantelt sind“, so das Forschungsteam. „Andere Herstellungsarten führen dagegen zu anderen Ergebnissen, etwa wenn man erst auf der Palette kleine Mengen Eigelb zur Farbe mischt.“ In diesem Fall bilden die Proteine Brücken zwischen den einzelnen Partikeln und verknüpfen diese zu stabilen Netzwerken.
Verbesserte Verarbeitung und Konservierung
„Diese Mischung erzeugt sehr feste Farben, die gut für die Impasto-Maltechnik geeignet sind“, berichten die Forscher. Bei dieser Technik wird die Farbe dick aufgetragen, sodass man die Pinselstriche deutlich sieht. Überdies verhindern die Proteine, dass sich beim Trocknen Risse oder Falten in der Farbschicht bilden. Diese sind bei frühen Gemälden da Vincis, darunter seiner berühmten „Madonna in der Felsengrotte“, noch ein Problem. Spätere Gemälde dagegen weisen eine glattere Farbschicht auf – wahrscheinlich dank dem Zusatz von Proteinen zur Farbe.
Zudem stellten Ranquet und ihre Kollegen fest, dass in Farben, die nach dem überlieferten Rezept hergestellt wurden, die Proteine eine Schutzschicht um die Pigmentpartikel bilden und verhindern, dass diese Wasser aus der Luftfeuchtigkeit aufnehmen. „Außerdem wirkt Ei als Antioxidans“, erklärt das Team. „Im Vergleich zu Öl allein sind die mit Ei versetzten Farben weniger anfällig für oxidativen Abbau, was die Erhaltung wertvoller Kunstwerke verbessern könnte.“ Die Eiproteine wirken dadurch auch dem Vergilben der Gemälde entgegen, das meist durch lichtinduzierte Oxidation der Pigmente verursacht wird.
„Unsere Studie zeigt, wie Künstler proteinhaltige Materialien verwendet haben könnten, um das Impasto ihrer frischen Ölfarben zu beeinflussen, Probleme mit der Luftfeuchtigkeit zu überwinden und Farbschichten zu erzeugen, die gegen Faltenbildung und oxidativen Abbau stabil sind, so dass wir ihre Meisterwerke noch heute bewundern können“, schreiben die Autoren. „Dies liefert neue Erkenntnisse, die zu einer besseren Konservierung und Erhaltung unschätzbarer Kunstwerke beitragen können.“
Quelle: Ophélie Ranquet (Karlsruher Institut für Technologie) et al., Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-023-36859-5